Busfahrer lassen das halbe Saarland warten
Kurzfristiger Warnstreik überrascht Pendler und Schüler – Gehetzte Mathe-Abiturienten
Auf die Mathe-Abiturienten wartete gestern die erste Aufgabe nicht in der Schule, sondern an der Bushaltestelle. Und sie entpuppte sich als Gleichung mit mehreren Unbekannten: Kommt der Bus, kommt er nicht? Wenn ja, wann kommt er? Bin ich noch rechtzeitig zur Abiturprüfung in der Schule?
Kurz gesagt: Der Bus kam nicht. Weder in Völklingen noch in Saarlouis noch in Neunkirchen noch in Saarbrücken. In Völklingen blieben die Tore zum Bus-Depot verschlossen, in Saarbrücken blockierten Busse die Ausfahrt. Die Verhandlungsführerin vom Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), Barbara BeckmannRoh, rügte die Aktion als „rechtswidrige Streikmaßnahme“, weil auch private Unternehmen am Ausfahren gehindert worden seien.
Verdi Saar hatte nachts zuvor um 23.45 Uhr kurzfristig zu einem eintägigen Warnstreik für die rund 1000 Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr aufgerufen. Am Tage war die zweite Tarifrunde mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband ergebnislos zu Ende gegangen.
Beckmann-Roh zeigte sich von dem kurzfristigen Warnstreik „überrascht“und nannte ihn „nicht angemessen“. Angesichts des vorgelegten Angebots habe man für die Aktion „kein Verständnis“. Der KAV bietet gestaffelt auf drei Jahre jeweils 50 Euro brutto im Monat mehr, heißt: zum 1. Mai dieses Jahres 50 Euro, im zweiten und im dritten Jahr ebenfalls. Verdi Saar dagegen fordert 5,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber ein Plus von 175 Euro monatlich.
Thomas Müller, Bezirksgeschäftsführer von Verdi für die Region Saar-Trier, sprach von einem „sehr unzureichenden Angebot“von der Arbeitgeberseite, das die Kollegen von der Verhandlungskommission regelrecht „erbost“habe. So sehr, dass man sich sehr kurzfristig für einen Warnstreik entschieden habe. „Die Kollegen haben sich so gefühlt, als habe man ihnen richtig auf die Füße getreten. Der Tarifvertrag, der hier zur Anwendung kommt, ist im bundesweiten Vergleich deutlich schlechter“, moniert Müller. Mit Vehemenz seien die VerdiLeute darum gestern in den Streik gegangen. „Es tut uns leid, dass der Schüler-Verkehr davon betroffen war. Das war nicht das Ziel der Streikmaßnahmen.“
War Verdi denn bekannt, dass gestern im Saarland Abiturprüfungen stattfanden? „Dass wir uns im Abiturzyklus befinden, wussten wir, aber wir haben nicht deshalb gestreikt, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen“, sagt Müller auf Anfrage.
Die Gesamtlandesschülervertretung kommentierte die Ereignisse gestern empört. „Unangebracht und unverantwortlich“sei es, am Tag des Mathe-Abiturs zu streiken. Das Bildungsministerium gab dennoch Entwarnung. Bei einer Stichprobe unter mehreren Schulen ergab sich, dass alle Schüler zur Abiturprüfung angetreten seien. Diejenigen, die verspätet erschienen, durften ihre Prüfung bis 10 Uhr antreten, mit entsprechend längerer Prü- fungszeit. Das bestätigt eine Umfrage unserer Zeitung. Im Kreis Saarlouis ging alles noch einmal gut. Das Geschwister-SchollGymnasium teilte mit: „Bei uns waren alle rechtzeitig da.“Ebenso das Johannes-Keppler- Gymnasium in Lebach: „Unsere Abiturienten waren pünktlich da.“
Das galt auch für das AlbertEinstein- Gymnasium in Völklingen. „Viele Eltern haben ihre Kinder gefahren.“Am Warndt- Gymnasium in Geislautern ging es glimpflich ab, nur wenige Schüler erschienen nicht pünktlich. Auch aus Saarbrücken und Neunkirchen wurden gestern keine größeren Probleme gemeldet.
Größere Probleme warten dagegen auf die Verhandlungsführer beider Seiten bei der nächsten Runde am 28. April. Auch dann gilt es wieder, eine Gleichung mit mehreren Unbekannten zu lösen. Wir werden sehen, ob sich jemand dabei verrechnet.
Streiks müssen wehtun. Das verstehen alle Arbeitnehmer. Dass ein Ausstand die betroffene Firma schädigt, ist sein Wesen. Dass er aber auch Dritte beinträchtigt, ist selten zu vermeiden. Für bestimmte Bereiche gilt dies besonders: Öffentlicher Personenverkehr und Kitas gehören dazu. In beiden Feldern spüren die Saarländer Arbeitskämpfe derzeit massiv. Die Kindergärtnerinnen ernten dabei Solidarität, weil ihr Anliegen verstanden wird und sie Eltern Zeit lassen, sich auf Streiks einzustellen. Das Wohlwollen für den Machtpoker der GDL-Lokführer ist da schon geringer.