Weselsky gegen den Rest der Republik
Bereits siebter Streik im Tarifkonflikt – Kritik an Gewerkschaftschef wächst – Bahn will ein Drittel der Fernzüge auf die Gleise bringen
Der Lokführergewerkschaft geht es in der Tarifrunde mit der Bahn nicht schnell genug. Deshalb streikt sie wieder. Das geht den Kunden mächtig auf die Nerven, und auch andere zweifeln am Sinn der Aktion.
Berlin. Wenn Claus Weselsky vom Bahn-Tarifpoker kommt, bebt es in dem Mann. Kaum zu übersehen, wie sehr der Gewerkschafter Empörung und Aufregung dann zügeln muss. Dieses Temperament ist einer der Gründe für Weselskys siebten Streich: Schon wieder streiken die Lokführer, wieder hält tagelanges Bahn-Chaos die Republik in Atem. Doch Weselsky laufen die Zeit und seine Verbündeten davon.
Da wäre der Dachverband der Lokführergewerkschaft, der Deutsche Beamtenbund (DBB). Dessen Chef Klaus Dauderstädt gibt sich besorgt und erteilt Weselsky schon öffentlich Ratschläge: Erstmal Teilergebnisse festmachen, wenn nicht alles auf einen Schlag zu lösen sei, empfiehlt Dauderstädt am Montag in der „Süddeutschen Zeitung“. Als Weselsky dann gestern Ernst macht mit dem siebten Streik, will der Beamtenbund lieber gar nichts mehr sagen. Nur soviel: „Wir haben ein Interesse daran, dass es bald zu einer Einigung kommt.“
Weselsky will sie erzwingen. SBahnen, Regionalzüge, Fernzüge – sie sollen zwei Tage lang stillstehen, Güterzüge noch etwas länger. Millionen Reisende werden auf die Lokführer schimpfen. Und auf deren kleine, aber mächtige Gewerkschaft mit dem 56-Jährigen an ihrer Spitze. Fast vier von fünf Bahn-Lokführern sind in der GDL organisiert, das macht sie schlagkräftig.
Viele sind nicht mehr gut zu sprechen auf Weselsky. Der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK) kritisierte den Streik der „Neuen Osnabrücker Zeitung“zufolge als „Gift für den Standort Deutschland“. „Verständnislos und bestürzt“, überschrieb der Bundesverband Groß- und Außenhandel seine Stellungnahme. „Eine kleine Gruppe versucht wieder einmal auf dem Rücken von Wirtschaft und Bevölkerung ihre Partikularinteressen durchzusetzen.“
Selbst der sonst so besonnene Personalchef Ulrich Weber hält die Zeit für gekommen, ungerechtfertigte Anschuldigungen zurückzuweisen, eine Korrektur der Tonlage und mehr Sachlichkeit zu fordern. Sonst hatte er stets versichert, er habe kein Problem mit Weselsky, seinem Gegenüber in mittlerweile 16 Verhandlungsrunden. Da hatte der Gewerkschaftschef Weber aber noch nicht der Lüge bezichtigt.
Ob die GDL den Streik in dieser Phase braucht, um in den Verhandlungen weiterzukommen, kommt auf die Perspektive an. Die Bahn beteuerte noch kurz vor dem Streik, bei der Frage der künftigen Tarifstruktur sei man doch einen Meter vor der Ziellinie gewesen. In der nächsten Woche hätten beiden Seiten über mehr Geld und Arbeitszeiten sprechen können. Weber: „Die GDL setzt ihre eigenen Erfolge aufs Spiel.“
Diese Erfolge sieht aber die GDL nach 16 Verhandlungsrunden gar nicht. Im Gegenteil, ihr geht es in den Gesprächen zu langsam voran, verbindlich sei noch nicht einmal der bisher ausgehandelte Zwischenstand vom März. Da- mals verständigten sich die beiden Tarifparteien, Zugbegleiter und Bordgastronomen in einen Flächentarifvertrag aufzunehmen, der bisher nur für die Loko- motivführer gilt. Jetzt hat sich Weselsky auf die Berufsgruppe der Lokrangierführer kapriziert. Die dürften – im Vergleich zu den besser bezahlten Lokführern – nicht zum „billigen Jakob im Tarifvertrag“werden, sagt er. Der Einsatz für diese Lokrangierführer erscheint der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) unglaubwürdig. Bisher habe sich die GDL nicht um sie gekümmert. Zudem seien drei Viertel von ihnen bei der EVG organisiert. Bei der Taktik verfolgt die GDL nicht mehr das Ziel, dass jeder Streik länger als der vorherige ist. Vor kurzem hatte Weselsky noch gedroht: „Der nächste Streik wird um die hundert Stunden lang sein.“Jetzt sind es „nur“66 im Güterverkehr und 43 im Personenverkehr. Die Bahn will sich in diesen Tagen ins Zeug legen. Trotz Streiks soll ein Drittel der Fernzüge fahren, gesteuert von beamteten Lokführern, Mitgliedern der EVG oder Unorganisierten. Beim jüngsten GDL-Ausstand im November waren viele ICE halbleer als Folge einer sich selbstzerstörenden Prophezeiung: Weil alle annahmen, dass kaum noch ein Zug fährt, stieg auch niemand in die Züge ein, die doch unterwegs waren.