Klassiker als Fremdkörper
Was das Saarländische Staatstheater ab September bietet
Das Schauspiel meidet Klassiker und ausgetretene Pfade, das Musiktheater kuschelt sich an beim Publikum. Vielseitig und vital präsentiert sich die Saison 2015/16 am Staatstheater. Eröffnet wird mit „Don Giovanni“.
Saarbrücken. Ein Spielplan ist wie eine Pralinenschachtel. Nimm zwei aus 20. Welche Produktionen wählt man dann in der Saison 2015/2016? Zweifelsohne „Platée“, die erste Sparten verschmelzende Crossover-Produktion für Oper und Ballett, die das Saarbrücker Staatstheater (SST) überhaupt je anpackte. Der Saarbrücker Ballettchef Stijn Celis wagt sich mit dieser parodistischen Nymphengeschichte von Rameau (1745) erstmals an eine Opernregie. Wenn das mal nicht die Neugier weckt.
Ebenfalls Neuland betritt die Saarbrücker Gruppe „Die Redner“. Bisher wurden sie bekannt und gelobt für innovative Konzepte, die Video, Epoche machende Politiker-Reden und Live-Musik mixten; jetzt erforschen „Die Redner“die MultiKulti-Alltagskultur, fragen nach unserem Glauben und Werten. Ihr Recherche-Experiment „Credo“handelt vom Clash der Religionen, aber auch von deren moralischer Kraft. Eine streitbare Einmischung könnte das werden, ein formalästhetisches Wagnis ist es schon. Dieses zunächst frei entwickelte Performance-Projekt fand überraschenderweise als Koproduktion in den SSTSpielplan.
Wer dem hingegen prominente Namen zum Auswahlkriterium macht, wird freilich andere Premieren aus dem Spielplan „naschen“. Den englischen Operettenklassiker „Die Piraten von Penzance“inszeniert eine Filmgröße: Mike Leigh („Lügen und Geheimnisse“). Möglich wird diese außergewöhnliche Regie-Besetzung durch eine Finanzierungs- Gemeinschaft des SST mit der English National Opera London und den Luxemburger Théatres de la Ville. Der zweite Name mit Glamourfaktor lautet Brigitte Fassbaender. Die berühmte Mezzosopranistin ist zwischenzeitlich eine gefragte Regisseurin. In Saarbrücken bringt sie die Britten- Oper „Pe-
Viele Filmstoffe wie „Der Elefantenmensch“(Foto aus David Lynchs Film von 1980), finden sich im neuen SST-Spielplan.
ter Grimes“heraus.
Der Spielplan folgt, so Intendantin Dagmar Schlingmann gestern bei der Saison-Präsentation, dem Motto „Fremd in der Welt“. Die Flüchtlingsthematik taucht in Elfriede Jelineks „Schutzbefohlenen“auf, einem aktuell viel beachteten Stück. Schön, dass das SST so schnell zugriff und damit das Publikum an den Theaterpuls der Zeit bringt. Außerdem soll das Spielzeit-Motto das Lebensgefühl vieler Menschen spiegeln, die die Zeitläufte als undurchschaubar, also absurd, erleben. Tragikomödien dominieren. Das Paradestück dafür, Becketts „Warten auf Godot“(1952), wird die Intendantin selbst inszenieren, außerdem noch einen „Don Giovanni“. Dank der Wiederaufnahmen ihrer Erfolgsstücke – „Madama Butterfly“(2011), „Rigoletto“(2013) und „Dreigroschenoper“(2012) – wächst sich die Spielzeit 2015/16 zu DagmarSchlingmann-Festspielen aus. Dem Publikum kommt dies sicher entgegen, wie auch der Opern-Spielplan. Er wurde erstmals vom neuen Generalmusikdirektor Nicholas Milton entwickelt – und gleicht einer Seelen-Kur in instabilen Zeiten. Dazu bekannte sich die scheidende Operndirektorin Brigitte Heusinger, kündigte „intensive, hochemotionale, direkte Stoffe“an, „Falstaff“etwa und „Rusalka“.
Wagnisse nehmen diesmal im Musiktheater eine Auszeit. Ist das die Handschrift des Menschenfängers Milton? Der wird sehr präsent sein, wird drei Opern, fünf Sinfoniekonzerte und ein Ballett dirigieren. Vermutlich spielen aber auch die neuen Sparauflagen für das SST eine Rolle und die Verpflichtung zu Einnahmesteigerun- gen. Das ausgeweitete, muntere Konzertprogramm trägt dem Rechnung.
Ein Gegengewicht setzt das Schauspiel, das sich, so Chefdramaturgin Ursula Thinnes, so vehement wie selten zuvor auf Stücke des 20. und 21. Jahrhunderts verlegt. Brechts „Leben des Galilei“wird zu sehen sein, auch viele Filmstoffe wie „Der Elefantenmensch“und „Osage County („Eine Familie“). In dieser unkonventionellen Liste nimmt sich Shakespeares Klassiker „Romeo und Julia“wie ein Fremdkörper aus.
Künstlerisch gesehen strebt das SST Distanz fördernde, mutige Regie-Konzepte an, holt dafür jedoch überwiegend bekannte Regie- Gäste ins Haus, von Marcus Lobbes bis Michael Talke. Auf das Talente-Ausprobieren verzichtet sogar die Sparte 4 von Christoph Diem. Dennoch wird, wer das Unberechenbare liebt, hier wieder fündig. Der pathetische Titanic-Film-Untergang passt in Diems Theater-Labor genauso gut rein wie die „Kunst seinen Chef anzusprechen“. Regisseur Mike Leigh
Der Karten-Vorverkauf beginnt am 5. September. www.theater-saarbruecken.de