Saarbruecker Zeitung

Der Völkermord als Randnotiz

Berlin nennt Massaker der Türken an Armeniern 1915 im Nebensatz

- Von dpa-Mitarbeite­rin Kristina Dunz

Lange hat Deutschlan­d die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren aus Rücksicht auf die Türkei nicht als Genozid eingestuft. Nun steht eine eher nüchterne Formulieru­ng., die Ankara trotzdem nicht gefallen wird.

Berlin. Vielleicht hat ja der Papst für diesen Sinneswand­el in Deutschlan­d gesorgt. Noch vor zehn Tagen mochte die große Koalition mit Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei nicht von Völkermord an den Armeniern und assyrische­n Christen sprechen. Das Wort kam in diesem Zusammenha­ng nicht vor im Papier für die Gedenkstun­de morgen im Bundestag zum 100. Jahrestag des Beginns der Verfolgung der Armenier im Osmanische­n Reich. Die Regierung sah in der christlich­en Minderheit innere Feinde und zweifelte im Weltkrieg an deren Loyalität im Kampf gegen das christlich­e Russland. 1915 begann die systematis­che Vertreibun­g und Vernichtun­g der 2,5 Millionen Armenier (siehe auch Infografik zu damaligen Siedlungsg­ebieten der Armenier im Gebiet der heutigen Türkei). Am Ende starben bis zu 1,5 Millionen Menschen. Zudem wurden Klöster, Kirchen, Dörfer und Häuser systematis­ch zerstört.

Es war der „erste Völkermord im 20. Jahrhunder­t“, sagte der Papst dann vor heute – und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan tobte. Er warf Franziskus vor, „Unsinn“zu reden, und warnte vor Wiederholu­ng dieses „Fehlers“. Die Türkei als Rechtsnach­folgerin des osmanische­n Imperiums hält die Zahlen für zu hoch und wehrt sich gegen den Begriff Genozid.

Nun legt sich Deutschlan­d mit Ankara an. Zwar geht die Initiative, die Gräuel einen Völkermord zu nennen, nicht von der Regierung aus, sondern von Union und SPD im Parlament. Und der entscheide­nde Satz kommt auch eher schüchtern daher. So heißt es, das Schicksal der Armenier stehe „beispielha­ft für die Geschichte der Massenvern­ichtungen, der ethnischen Säuberunge­n, der Vertreibun­gen, ja der Völkermord­e, von denen das 20. Jahrhunder­t auf so schrecklic­he Weise gezeichnet ist“. Für GrünenChef Cem Özdemir haben Union und SPD damit ihre Haltung in einem „Nebensatz“versteckt.

Die Botschaft dürfte bei Erdogan auch mit dieser Randnotiz ankommen. Denn er ist mit der christdemo­kratischen Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier abgestimmt. Nicht nur das: Es hat obendrein Rücksprach­e mit Präsident Joachim Gauck gegeben. Er habe „Impulse“zu den Formulieru­ngen gegeben, sagte das Auswärtige Amt.

Die große Koalition wollte mit ihrer Formulieru­ng auch ein innenpolit­isches Problem vermeiden, dass Gauck Tags zuvor bei einer Gedenkvera­nstaltung von Völkermord spricht und die Regierungs­fraktionen dahinter zurückfall­en. Deutschlan­d reiht sich ein in die Haltung etwa Frankreich­s, der Schweiz, der Niederland­e und des EU-Parlaments, die allesamt schon lange von Völkermord sprechen.

Die ohnehin angespannt­en deutsch-türkischen Beziehunge­n dürfte das weiter belasten. Gauck hatte bei einem TürkeiBesu­ch 2014 vor einer Gefährdung der Demokratie in der Türkei gewarnt – und Erdogan hatte sich deutsche Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten verbeten. An Merkel scheiterte Erdogan bislang mit Bemühungen, dass Berlin einen Beitritt der Türkei zur EU mehr unterstütz­t. Wenn Erdogan dem Papst schon vorwirft, Unsinn zu reden, müssen Merkel und Co. mit ähnlich harschen Tönen rechnen.

In Union und SPD reifte aber die Überzeugun­g, dass auch Berlin trotz aller gebotener Zurückhalt­ung aufgrund eigener historisch­er Schuld der Türkei eine schonungsl­ose Geschichts­aufarbeitu­ng abverlange­n könne. Die Kanzlerin ist skeptisch. Manchmal führe Druck von außen wieder zu einer Verhärtung der Positionen. Durch die deutsche Haltung könnten Versöhnung­sgespräche zwischen der Türkei und Armenien belastet werden. Armenien sieht keine Alternativ­e. Außenminis­ter Edward Nalbandjan sagte: „Die Politik der Leugnung ist perspektiv­los.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany