Der Völkermord als Randnotiz
Berlin nennt Massaker der Türken an Armeniern 1915 im Nebensatz
Lange hat Deutschland die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren aus Rücksicht auf die Türkei nicht als Genozid eingestuft. Nun steht eine eher nüchterne Formulierung., die Ankara trotzdem nicht gefallen wird.
Berlin. Vielleicht hat ja der Papst für diesen Sinneswandel in Deutschland gesorgt. Noch vor zehn Tagen mochte die große Koalition mit Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei nicht von Völkermord an den Armeniern und assyrischen Christen sprechen. Das Wort kam in diesem Zusammenhang nicht vor im Papier für die Gedenkstunde morgen im Bundestag zum 100. Jahrestag des Beginns der Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich. Die Regierung sah in der christlichen Minderheit innere Feinde und zweifelte im Weltkrieg an deren Loyalität im Kampf gegen das christliche Russland. 1915 begann die systematische Vertreibung und Vernichtung der 2,5 Millionen Armenier (siehe auch Infografik zu damaligen Siedlungsgebieten der Armenier im Gebiet der heutigen Türkei). Am Ende starben bis zu 1,5 Millionen Menschen. Zudem wurden Klöster, Kirchen, Dörfer und Häuser systematisch zerstört.
Es war der „erste Völkermord im 20. Jahrhundert“, sagte der Papst dann vor heute – und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan tobte. Er warf Franziskus vor, „Unsinn“zu reden, und warnte vor Wiederholung dieses „Fehlers“. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums hält die Zahlen für zu hoch und wehrt sich gegen den Begriff Genozid.
Nun legt sich Deutschland mit Ankara an. Zwar geht die Initiative, die Gräuel einen Völkermord zu nennen, nicht von der Regierung aus, sondern von Union und SPD im Parlament. Und der entscheidende Satz kommt auch eher schüchtern daher. So heißt es, das Schicksal der Armenier stehe „beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist“. Für GrünenChef Cem Özdemir haben Union und SPD damit ihre Haltung in einem „Nebensatz“versteckt.
Die Botschaft dürfte bei Erdogan auch mit dieser Randnotiz ankommen. Denn er ist mit der christdemokratischen Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier abgestimmt. Nicht nur das: Es hat obendrein Rücksprache mit Präsident Joachim Gauck gegeben. Er habe „Impulse“zu den Formulierungen gegeben, sagte das Auswärtige Amt.
Die große Koalition wollte mit ihrer Formulierung auch ein innenpolitisches Problem vermeiden, dass Gauck Tags zuvor bei einer Gedenkveranstaltung von Völkermord spricht und die Regierungsfraktionen dahinter zurückfallen. Deutschland reiht sich ein in die Haltung etwa Frankreichs, der Schweiz, der Niederlande und des EU-Parlaments, die allesamt schon lange von Völkermord sprechen.
Die ohnehin angespannten deutsch-türkischen Beziehungen dürfte das weiter belasten. Gauck hatte bei einem TürkeiBesuch 2014 vor einer Gefährdung der Demokratie in der Türkei gewarnt – und Erdogan hatte sich deutsche Einmischung in innere Angelegenheiten verbeten. An Merkel scheiterte Erdogan bislang mit Bemühungen, dass Berlin einen Beitritt der Türkei zur EU mehr unterstützt. Wenn Erdogan dem Papst schon vorwirft, Unsinn zu reden, müssen Merkel und Co. mit ähnlich harschen Tönen rechnen.
In Union und SPD reifte aber die Überzeugung, dass auch Berlin trotz aller gebotener Zurückhaltung aufgrund eigener historischer Schuld der Türkei eine schonungslose Geschichtsaufarbeitung abverlangen könne. Die Kanzlerin ist skeptisch. Manchmal führe Druck von außen wieder zu einer Verhärtung der Positionen. Durch die deutsche Haltung könnten Versöhnungsgespräche zwischen der Türkei und Armenien belastet werden. Armenien sieht keine Alternative. Außenminister Edward Nalbandjan sagte: „Die Politik der Leugnung ist perspektivlos.“