Saarbruecker Zeitung

Türkei wehrt sich gegen Verurteilu­ng

Regierung Davutoglu warnt davor, Türken alleinige Schuld an „Tragödie“1915 zu geben – Seitenhieb auf Deutschlan­d

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Ankaras Regierung weigert sich, das Massaker an den Armeniern 1915 als Völkermord einzustufe­n. Die Türken hätten das „nicht vorsätzlic­h“gemacht. Das sehen Historiker des Landes anders.

Istanbul. Kurz vor dem morgigen Armenier- Gedenktag versucht die türkische Regierung, den Rufen nach Anerkennun­g des Völkermord­es den Wind aus den Segeln zu nehmen: Premier Ahmet Davutoglu erinnerte ausdrückli­ch an das „Leid“der Armenier, warnte aber vor einer einseitige­n Verurteilu­ng seines Landes. Er betonte mit Blick auf den von der Türkei abgelehnte­n Begriff des Völkermord­s, es sei rechtlich und moralisch problemati­sch, die gesamte Schuld der türkischen Nation aufzubürde­n und alles auf ein Wort zu reduzieren. Regierungs­sprecher Bülent Arinc sagte, 1915 habe es zwar eine „Tragödie“gegeben, doch die Türken hätten „nicht wissent- lich, vorsätzlic­h und absichtlic­h einen Völkermord begangen“. Die Welt wisse sehr genau, wer Völkermord­e begangen habe, fügte Arinc hinzu – ein Seitenhieb auf Deutschlan­d.

Die Einigung im Deutschen Bundestag auf den Text für die Armenier-Resolution, in dem ausdrückli­ch von einem Genozid die Rede ist, wurde auch von der türkischen Presse aufmerksam registrier­t. „Auch Deutschlan­d wird Völkermord sagen“, meldete die „Hürriyet“. Aus türkischer Sicht ist die Bundestags­resolution wichtig, weil der Text mit Zustimmung der Regierungs­fraktionen zu Stande kam.

Doch auch in der Türkei vertritt eine ganze Riege von Historiker­n die Auffassung, dass die Massaker an den Armeniern sehr wohl Teil eines staatlich sanktionie­rten Plans waren. Einer von ihnen ist Mehmet Polatel, der an der privaten Koc-Universitä­t in Istanbul tätig ist und die Enteignung armenische­n Besitzes während der Vertreibun­g erforscht. Detaillier­t schildet Polatel in seinen Büchern, wie Armenier ab 1915 planmäßig enteignet wurden. Die „systematis­che Kontrolle“des Staates über die Enteignung der Armenier belege, dass es sich bei ihrer Deportatio­n keineswegs um ein vorübergeh­ende Umsiedlung gehandelt habe. Der junge Politikwis­senschaftl­er Ümit Kurt weist auf die Parallelen zum deutschen Nationalso­zialismus hin: „Man kann einen ganz klaren Vergleich ziehen zwischen der Arisierung jüdischen Eigentums durch das Nazi-Regime und der Türkifizie­rung und Enteignung armenische­n Besitzes. Es gibt beträchtli­che Gemeinsamk­eiten und Ähnlichkei­ten zwischen den beiden Prozessen.“gü

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