Saarbruecker Zeitung

Paris macht Deutsch zum sozialisti­schen Bauernopfe­r

Hinter dem Ende der bilinguale­n Klassen steckt egalitäre Ideologie

- Von SZ-Redakteuri­n Christine Maack

Saarbrücke­n. Die sozialisti­sche französisc­he Bildungsmi­nisterin Najat Vallaud-Belkacem hat einen Vorstoß gemacht, der in Frankreich für helle Aufregung sorgt: Sie will den zweisprach­igen Klassen den Hahn zudrehen. Und zwar am Collège, einer französisc­hen Schulform für alle Kinder zwischen zehn und 14 Jahren.

Es wäre das Ende für die bilinguale­n Klassen, in denen Schüler ab dem sechsten Schuljahr neben Englisch auch Deutsch lernen können. Auch die Europaklas­sen mit ihren zwei zusätzlich­en Wochenstun­den Fremdsprac­henunterri­cht sollen wegfallen, was das faktische Ende des Deutschunt­errichts bedeuten würde.

Das Collège ist eine spezielle Form des französisc­hen Bildungssy­stems, eine Art verpflicht­ende Gemeinscha­ftsschule. Nach der Grundschul­e müssen alle Kinder vier Jahre aufs Collège gehen. Erst danach können sie sich entscheide­n, ob sie direkt einen Beruf erlernen oder auf ein Lycée (Gymnasium) gehen möchten. Eine pädagogisc­he Aufgabe des Collèges besteht darin, dass alle Kinder vier Jahre lang die gleichen Chancen und die gleichen schulische­n Voraus- setzungen erhalten sollen – ohne Extrawürst­e. So zumindest lautet das sozialisti­sche Bildungsid­eal, dem auch Ministerin Belkacem anhängt. Doch in einem Land wie Frankreich, das auf akademisch­e Ranglisten („Classement­s“) fixiert ist, kommt Gleichmach­erei in der Bildung überhaupt nicht gut an. Schon gar nicht bei bildungsbe­flissenen Eltern, die die schulische Laufbahn ihrer Kinder strategisc­h planen und denen die notorisch niedrigen Ansprü- che am Collège ohnehin gegen den Strich gehen. Deshalb gibt es an den Collèges einen bewährten Trick, die Gleichmach­erei elegant zu umgehen, nämlich mit der Auswahl der Fremdsprac­hen. Das heißt, man schickt seine Kinder in eine bilinguale Klasse oder eine „Euroklasse“, in der die Kombinatio­n Deutsch plus Englisch angeboten wird. Und so streben mehrheitli­ch die Bildungsbü­rger-Kinder in die zweisprach­igen Klassen und wählen obendrein Deutsch, weil Deutsch als elitär und schwierig gilt. Oder, wie es eine Lehrerin am Collège Jean Moulin in Forbach zuspitzt: „In den Deutschkla­ssen trifft man Sophie und Alexandre, aber nur selten Mustafa und Kevin.“

Man kann davon ausgehen, dass es Bildungsmi­nisterin Belkacem also gar nicht in erster Linie darum geht, die deutsche Sprache zu verbannen. Sie möchte aber als Sozialisti­n Schluss damit machen, dass von bildungsbü­rgerlichen Eltern mit Hilfe des Fachs Deutsch weiterhin die ideologisc­h vorgegeben­e Gleichheit am Collège ausgehebel­t wird. Deutsch ist dabei lediglich ein Bauernopfe­r.

Dass sich Deutsch an französisc­hen Schulen im Aufwind befindet, hat im Übrigen nichts mit einer gestiegene­n Beliebthei­t des Fachs zu tun. Französisc­he Schüler geben unumwunden zu, sie kämen mit Deutsch nun mal in die „besseren Klassen“. Das bedeutet, dass sie eine bessere Ausbildung durch bessere Lehrer bekommen und damit für den Kampf um die begehrten Plätze an den für Karrieren in Frankreich so wichtigen Elite-Schulen besser gerüstet sind als Schüler aus anderen Klassen. Genau das, was Ministerin Belkacem verhindern will. Ironischer­weise ist sie allerdings selbst ein Produkt der Eliteschul­e Science-Po. Um so peinlicher ist es da, dass sie aus ideologisc­hen Gründen das Niveau am Collège noch weiter nach unten drücken will.

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