Gabriels Seitenhieb auf die Kanzlerin
Wirtschaftsminister will trotz Aufschwung keine spürbaren Steuersenkungen versprechen
Je stärker das Wirtschaftswachstum, desto größer die Spielräume im Haushalt. Obwohl die Bundesregierung mit einem höheren Wirtschaftswachstum als bisher rechnet, scheut sie vor Steuersenkungen zurück.
Berlin. Sigmar Gabriel redet erst einmal 25 Minuten lang über die gute Wirtschaftslage. Das Wort Steuern kommt ihm zunächst nicht über die Lippen. Auch bei der Fragerunde zur neuen Konjunkturprognose ist der Wirtschaftsminister recht einsilbig, wenn es um mögliche Steuerentlastungen geht. Immer wieder verweist der Vizekanzler auf die nächste Steuerschätzung für die Staatskassen in zwei Wochen.
Dann aber ist doch der Punkt erreicht, wo der SPD-Chef seinem Frust freien Lauf lässt – sicher auch angesichts anhaltend schlechter Umfrageergebnisse seiner Partei und der Querschüsse aus der Union etwa in der Energiepolitik. Es gebe eben weniger Handlungsspielraum für eine Entlastung der Bürger, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sich gegen den Willen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für ein Auslau- fen des „Soli-Zuschlags“entschieden hätten – und so die Verteilmasse im Bund-LänderFinanzpoker schmälerten. Nach Gabriels Rechnung um bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr: „Das erleichtert die Debatte über Steuersenkungen nicht.“
Unabhängig von dem Seitenhieb auf Merkel und Seehofer so kurz vor dem Treffen der Koalitionsspitzen am Sonntagabend im Kanzleramt: Gabriel übernimmt bei der Vorlage seiner Frühjahrsprognose trotz glänzender Konjunktur und Beschäftigungsbooms den Job des stets mahnenden CDU-Kassenwarts mit. Die guten Wachstumszahlen seien „verletzlich“, es gebe Risiken, sagte Gabriel und warnte vor „überschäumenden Erwartungen“.
Die Steuerschätzung Anfang Mai dürfte allerdings um einige Milliarden nach oben korrigiert werden. Schon die Erwartungen der November-Prognose wurden übertroffen. Bei einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um nominal einen Prozentpunkt steigen die Steuermehreinnahmen in der Regel etwa um sechs bis sieben Milliarden Euro für den Gesamtstaat. Obwohl Gabriel von diesen „Daumenpeilungen“nichts wissen will.
Es gab auch schon Faustformeln, nach denen 100 000 Arbeitslose weniger den Staat jähr- lich um zwei Milliarden Euro entlasten. Aus Sicht führender Ökonomen gibt der kräftige Aufschwung genügend Spielraum für eine umfangreiche Steuer-
MEINUNG
Wie die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hat nun auch Wirtschaftsminister Gabriel die Wachstumsprognose nach oben korrigiert. Die Top- Ökonomen hatten aber noch einen Vorschlag gemacht, wie möglichst viele Bürger am Aufschwung teilhaben können: durch Steuersenkungen. Doch da plötzlich geht es Deutschland gar nicht mehr so gut. Jedenfalls nach Lesart Gabriels. Man müsse die nächste Steuerschätzung abwarten; auch wolle die Union den Soli abschmelzen. Doch mit Verlaub, das sind Ausreden. Gabriel hätte besser gesagt, dass er keine Steuerreform angehen will und der Koalition die Kraft dazu fehlt. Das wäre wenigstens ehrlich gewesen. senkung – insbesondere für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.
Wenn am 7. Mai aber die Ergebnisse der neuen Steuerschät- zung verkündet werden, wird Schäuble wohl einmal mehr den Bremser geben. In seinen Haushaltsplanungen sind bessere Zahlen ohnehin schon längst „eingepreist“. Mögliche neue finanzielle Spielräume will die Koalition in zusätzliche Investitionen stecken. Vor allem aber: Die Länder müssten bei Steuersenkungen mit entsprechenden Milliardenausfällen für ihre Kassen und die Stadtkämmerer der Kommunen mitziehen.
Danach sieht es auf absehbare Zeit aber nicht aus. Zumal Steuerentlastungen, von denen die Bürger spürbar etwas hätten, richtig ins Geld gehen würden. Zwar könnten einige Steuerprivilegien gestrichen werden, um Finanzspielräume zu schaffen. Dagegen stemmt sich die CSU, die selbst den Wegfall von Steuer-Subventionen als Steuererhöhung geißelt.
Vor allem untere Einkommensgruppen würden eher von niedrigeren Sozialabgaben profitieren. Doch die Beiträge für Rente und Krankenkassen dürften längerfristig steigen – angesichts einer älter werdenden Gesellschaft und weniger Beitragszahlern. Wohl auch wegen dieser Gemengelage verwies Gabriel lieber auf Job-Rekord und steigende Einkommen: Vom Aufschwung profitierten endlich auch die Bürger.