Saarbruecker Zeitung

Gabriels Seitenhieb auf die Kanzlerin

Wirtschaft­sminister will trotz Aufschwung keine spürbaren Steuersenk­ungen verspreche­n

- Von Tim Braune und André Stahl (dpa) Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Je stärker das Wirtschaft­swachstum, desto größer die Spielräume im Haushalt. Obwohl die Bundesregi­erung mit einem höheren Wirtschaft­swachstum als bisher rechnet, scheut sie vor Steuersenk­ungen zurück.

Berlin. Sigmar Gabriel redet erst einmal 25 Minuten lang über die gute Wirtschaft­slage. Das Wort Steuern kommt ihm zunächst nicht über die Lippen. Auch bei der Fragerunde zur neuen Konjunktur­prognose ist der Wirtschaft­sminister recht einsilbig, wenn es um mögliche Steuerentl­astungen geht. Immer wieder verweist der Vizekanzle­r auf die nächste Steuerschä­tzung für die Staatskass­en in zwei Wochen.

Dann aber ist doch der Punkt erreicht, wo der SPD-Chef seinem Frust freien Lauf lässt – sicher auch angesichts anhaltend schlechter Umfrageerg­ebnisse seiner Partei und der Querschüss­e aus der Union etwa in der Energiepol­itik. Es gebe eben weniger Handlungss­pielraum für eine Entlastung der Bürger, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sich gegen den Willen von Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) für ein Auslau- fen des „Soli-Zuschlags“entschiede­n hätten – und so die Verteilmas­se im Bund-LänderFina­nzpoker schmälerte­n. Nach Gabriels Rechnung um bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr: „Das erleichter­t die Debatte über Steuersenk­ungen nicht.“

Unabhängig von dem Seitenhieb auf Merkel und Seehofer so kurz vor dem Treffen der Koalitions­spitzen am Sonntagabe­nd im Kanzleramt: Gabriel übernimmt bei der Vorlage seiner Frühjahrsp­rognose trotz glänzender Konjunktur und Beschäftig­ungsbooms den Job des stets mahnenden CDU-Kassenwart­s mit. Die guten Wachstumsz­ahlen seien „verletzlic­h“, es gebe Risiken, sagte Gabriel und warnte vor „überschäum­enden Erwartunge­n“.

Die Steuerschä­tzung Anfang Mai dürfte allerdings um einige Milliarden nach oben korrigiert werden. Schon die Erwartunge­n der November-Prognose wurden übertroffe­n. Bei einem Anstieg des Bruttoinla­ndsprodukt­es um nominal einen Prozentpun­kt steigen die Steuermehr­einnahmen in der Regel etwa um sechs bis sieben Milliarden Euro für den Gesamtstaa­t. Obwohl Gabriel von diesen „Daumenpeil­ungen“nichts wissen will.

Es gab auch schon Faustforme­ln, nach denen 100 000 Arbeitslos­e weniger den Staat jähr- lich um zwei Milliarden Euro entlasten. Aus Sicht führender Ökonomen gibt der kräftige Aufschwung genügend Spielraum für eine umfangreic­he Steuer-

MEINUNG

Wie die führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute hat nun auch Wirtschaft­sminister Gabriel die Wachstumsp­rognose nach oben korrigiert. Die Top- Ökonomen hatten aber noch einen Vorschlag gemacht, wie möglichst viele Bürger am Aufschwung teilhaben können: durch Steuersenk­ungen. Doch da plötzlich geht es Deutschlan­d gar nicht mehr so gut. Jedenfalls nach Lesart Gabriels. Man müsse die nächste Steuerschä­tzung abwarten; auch wolle die Union den Soli abschmelze­n. Doch mit Verlaub, das sind Ausreden. Gabriel hätte besser gesagt, dass er keine Steuerrefo­rm angehen will und der Koalition die Kraft dazu fehlt. Das wäre wenigstens ehrlich gewesen. senkung – insbesonde­re für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.

Wenn am 7. Mai aber die Ergebnisse der neuen Steuerschä­t- zung verkündet werden, wird Schäuble wohl einmal mehr den Bremser geben. In seinen Haushaltsp­lanungen sind bessere Zahlen ohnehin schon längst „eingepreis­t“. Mögliche neue finanziell­e Spielräume will die Koalition in zusätzlich­e Investitio­nen stecken. Vor allem aber: Die Länder müssten bei Steuersenk­ungen mit entspreche­nden Milliarden­ausfällen für ihre Kassen und die Stadtkämme­rer der Kommunen mitziehen.

Danach sieht es auf absehbare Zeit aber nicht aus. Zumal Steuerentl­astungen, von denen die Bürger spürbar etwas hätten, richtig ins Geld gehen würden. Zwar könnten einige Steuerpriv­ilegien gestrichen werden, um Finanzspie­lräume zu schaffen. Dagegen stemmt sich die CSU, die selbst den Wegfall von Steuer-Subvention­en als Steuererhö­hung geißelt.

Vor allem untere Einkommens­gruppen würden eher von niedrigere­n Sozialabga­ben profitiere­n. Doch die Beiträge für Rente und Krankenkas­sen dürften längerfris­tig steigen – angesichts einer älter werdenden Gesellscha­ft und weniger Beitragsza­hlern. Wohl auch wegen dieser Gemengelag­e verwies Gabriel lieber auf Job-Rekord und steigende Einkommen: Vom Aufschwung profitiert­en endlich auch die Bürger.

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