Saarbruecker Zeitung

Viel Wind um Windräder und einen Sack Reis

Große Koalition lehnt Linke-Vorstoß für Mindestabs­tand zur nächsten Wohnung ab – Gefahr durch Infraschal­l?

- Von SZ-Redakteur Daniel Kirch

Seit einiger Zeit hat die Linke im saarländis­chen Landtag ein neues Vorbild, zumindest wenn es um Windkraft geht: Im CSU-regierten Bayern gilt die Regel, dass die Entfernung zwischen Windrädern und der nächstgele­genen Wohnung mindestens das Zehnfache der Höhe des Windrades betragen muss – bei einem 200 Meter hohen Windrad also zwei Kilometer. Diese sogenannte 10H-Regelung will die Linke auch im Saarland einführen. Durch den Ausbau der Windkraft nähmen die Vorbehalte gegen die Anlagen immer mehr zu, sagte die Abgeordnet­e Dagmar Ensch-Engel gestern im Landtag. Ihre Fraktion hat es eilig, denn nur noch bis zum 31. Dezember 2015 erlaubt ein Bundesgese­tz den Ländern, entspreche­nde Regelungen zu erlassen.

Den gestrigen Gesetzentw­urf hatte die Linke bereits im September 2014 eingebrach­t. Führte die Linke in der Vergangenh­eit häufig ästhetisch­e Bedenken gegen die Windenergi­e an („Verspargel­ung der Landschaft“), so drehte sich die Debatte gestern vor allem um den von den Anlagen verursacht­en Infraschal­l. Dieser ist für das menschlich­e Ohr nicht hörbar. Medizinisc­h erfassbare Wirkungen bei Langzeitbe­lastungen, so die Linke, gebe es aber auch bei Pegeln deutlich unterhalb der Wahrnehmba­rkeitsschw­elle. „Un- hörbar ist nicht gleichbede­utend mit unschädlic­h“, sagte EnschEngel, Röntgenstr­ahlen höre man ja auch nicht.

Der CDU-Abgeordnet­e Christian Gläser entgegnete, es gebe eine ganze Reihe seriöser Studien zu dem Thema, aber keinen einzigen wissenscha­ftlichen Hinweis darauf, dass Infraschal­l von Windrädern Gesundheit­sprobleme verursache. Gläser sagte, beim Infraschal­l von Windkrafta­nlagen sei laut einer aktuellen Untersuchu­ng ab einem Abstand von 500 Metern kein Unterschie­d mehr zwischen „Anlage an“und „Anlage aus“messbar. „Der einzige Infraschal­l, dem Sie dann noch ausgesetzt sind, ist der Infraschal­l, den der Wind selbst erzeugt“, sagte Gläser. Er zog einen Vergleich: Wenn in Peking ein Sack Reis vom zehnten Stock eines Gerüsts falle, sei das sehr schädlich für denjenigen, der gerade dort stehe, wo der Sack aufschlage. Trotzdem braucht man keine 10H-Regelung für das Gerüst, weil der Sack ja auch nicht 300 Meter weit fliege.

Umweltmini­ster Reinhold Jost (SPD) warnte: „Eine 10H-Regelung würde dazu führen, dass es keinen nennenswer­ten Ausbau der Windenergi­e im Saarland gibt. Die entspreche­nden Windpotenz­ialflächen würden sich von knapp 20 Prozent auf unter fünf Prozent verringern.“Das, so Jost, wäre „das Ende der Windenergi­e im Saarland“. Die Windenergi­e sei eine entscheide­nde Säule bei der Energiewen­de. Jost sagte, den

Zwischen Windrädern und der nächstgele­genen Wohnung sollte es nach Ansicht der Linken einen Mindestabs­tand geben.

schnellstm­öglichen Ausstieg aus der Atomkraft zu fordern und gleichzeit­ig den Ausbau der Windenergi­e zu behindern („Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass“), funktionie­re nicht.

Auch Grüne und Piraten bekannten sich klar zum Ausbau der Windkraft. „Wir müssen wegkommen von der Kohle“, sagte Michael Neyses (Grüne) und warf der Linken vor, „mit den Ängsten der Bürger zu spielen“. Piraten-Fraktionsc­hef Michael Hilberer riet der Linken, sich „weniger in einschlägi­gen Internetfo­ren“zu informiere­n, als in wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen. Das Argument, dass Windräder die Landschaft beeinträch­tigten, sei zudem seltsam. Gerade im Saarland könne man schließlic­h „auf keinen Hügel steigen, ohne ein Kohlekraft­werk zu sehen“.

Nur wenige Stunden vor der Windkraft-Debatte hatte der Landtag in einer „Aktuellen Stunde“über das Atomkraftw­erk Cattenom und den jüngsten Bericht der französisc­hen Atom-Aufsicht ASN diskutiert, der unter anderem Mängel beim Strahlensc­hutz in Cattenom festgestel­lt hat. Die Fraktionen tauschten ihre seit Jahren bekannten Positionen aus: Die Opposition forderte, die Landesregi­erung müsse in Berlin und die Bundesregi­erung in Paris deutlich mehr Druck für die Abschaltun­g machen. Die Bundesregi­erung bleibe untätig, weshalb Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) „endlich“mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reden müsse, forderte etwa der Grüne Hubert Ulrich.

Die Regierung verwies ihrerseits darauf, dass sie sehr wohl die schnellstm­ögliche Abschaltun­g von Cattenom wolle, Energiepol­itik aber nunmal Sache der Nationalst­aaten, hier also Frankreich­s, sei. „Was erwarten Sie eigentlich von dieser Landesregi­erung?“, wollte Umweltmini­ster Jost daher von Ulrich wissen: „Erwarten Sie, dass wir mit der Bereitscha­ftspolizei unter Begleitung der Bergkapell­e und des Saarknappe­n-Chors nach Cattenom marschiere­n und dort den Stecker ziehen?“

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FOTO: ZUCCHI/DPA
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Christian Gläser
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Dagmar Ensch-Engel

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