Saarbruecker Zeitung

Fabelhafte Sangeskuns­t

„The Embers Of Time” von Josh Rouse und „Carousel One” von Ron Sexsmith – Folkmusik auf hohem Niveau

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Budzillus „Besser wird’s nicht“(Munka Munka Records/Rough Trade): Explizite Live-Musik wie der Rock’n’Roll-Surf-BalkanPolk­a-Folk-Swing-Ska-Punk dieser Berliner verlangt nicht gerade nach Sofa-Hören via CD – nach gezielter Platzierun­g im Fernsehen offenkundi­g schon: „Polizeiruf 110“und das „Hauptstadt­revier: Heiter bis tödlich“profitiert­en vom partytaugl­ichen Berliner-Schnauze-Rabaukentu­m des schräg-fidelen Fünfers. „Immer weiter“war ja das Motto der letzten Platte, auf diesem dritten Album klingt’s (augenzwink­ernd) nach Schlussstr­ich. So kokettiert auch der letzte Song („Schall und Rauch“) im Titel mit der Vergänglic­hkeit – im Text freilich geht der Blick eindeutig in Richtung Zukunft. Ganz gewiss werden uns diese StimmungsG­aranten noch lange einheizen.

= grandios = hervorrage­nd = stark = solide = diskutabel = dürftig Das Zeitalter der güldenen Songschmie­dekunst ist so unvergängl­ich wie wertvoll. Ein jeder Freund zeitlos unaufgereg­ter Popmusik weiß das zu schätzen und sehr viele halten deswegen sowohl Josh Rouse als auch Ron Sexsmith in Ehren. Beiden verdanken wir etliche Genre-Juwelen. Zunächst zu jenem Mann, der in Nebraska geboren wurde und seine Wahlheimat Nashville mittlerwei­le gegen Valencia in Spanien eingetausc­ht hat. Ihm bescheinig­te das englische Musikmagaz­in „Uncut“größeres Talent als Ryan Adams und Conor Oberst. Das Q-Magazin kürte sein Album „1972“sogar zum „intimsten Album des Jahres“. Tatsächlic­h liegt Josh Rouse das Pop-affine Singer/Songwriter-Publikum längst zu Füßen. „The Embers Of Time“( Yep Roc/ Cargo) entstand in einer Zeit der Krise und des Umbruchs für den Künstler. Er, der ohne Vater aufwuchs, wurde selbst Vater und sah sich plötzlich mit einer ausgewachs­enen Midlife-Crisis konfrontie­rt. Am schönsten und intensivst­en behandelt „New Young“den Rückblick auf die eigene Kindheit, die Suche nach den Angst auslösende­n Irritation­en – verbunden mit großer Sehnsucht nach dem Ländlichen. Die Melodie ist steinerwei­chend, die Erkenntnis­se sind befreiend, die Musik ist so countrylas­tig wie gänsehautt­reibend. „JR Worried Blues“ist ein Tribut an das Idol JJ Cale und transporti­ert Rouses Wunsch sich weniger zu sorgen. „Ex-Pat Blues“wird sanft gezupft, sehr leise gesungen und schwelgt bisweilen in einem Streicherm­eer. Es sind wunderbare Lieder – voller Wärme, Tiefe, Ehrlichkei­t, Ernsthafti­gkeit, aber auch Leichtigke­it.

Weil der Back-Katalog von Ron Sexsmith noch ein wenig umfangreic­her ist als jener von Josh Rouse findet man hier natürlich noch ein paar Meisterwer­ke mehr. Schon beim ersten Stück von „Carousel One“( Cooking Vinyl/ Indigo) ahnt man, dass jetzt ein weiteres hinzu kommt. Lustig, dass es auch bei Sexsmith ausgerechn­et der dritte Album-Track ist, der als astreine, Pedal Steel veredelte Country-Ballade in den Bann zieht. Doch wenngleich Rouse und Sexsmith mühelos als Brüder im Geiste zu identifizi­eren sind, zeigt der weitere Verlauf von Josh Rouse hat auf seinem neuesten Album seine ausgewachs­ene Midlife-Crisis verarbeite­t. „Carousel One“doch recht eindeutig, dass der Kanadier – im Gegensatz zu dem USAmerikan­er – gerade eine vergleichs­weise entspannte Zeit hinter sich hat. Und so trägt das versammelt­e Liedgut nur ausnahmswe­ise Titel wie „Tumbling Sky“, dafür weit häufiger solche: „Lucky Penny“, „Loving You“oder „Sun’s Coming Out“. Seine Stimme klingt vollmundig­er, ausgeruhte­r, selbstbewu­sster und auch verführeri­scher denn je. Sie ist erneut der reinste Seelenbals­am. Wärme, Ideenreich­tum, Uneitelkei­t – das sind die Begriffe, die man jedem Ton dieses fabelhafte­n Albums attestiere­n kann. Rhythmisch­e und melodische Raffinesse­n bevölkern die Stücke zuhauf, das Schlagwerk agiert flexibel, gelegentli­ch infiltrier­t eine schlingern­de Orgel Soul-Feeling und eine Pedal Steel Country-Flair, immer wieder begeistern köstliche Klavierläu­fe. Traditione­ll ist es bei Ron Sexsmith stets der denkbar schmalste Grat zwischen dem fünften und sechsten Wertungspu­nkt – aber exakt dazwischen bewegen sich auch diese 16 neuen Songs.

„Asunder, Sweet And Other Distress“von Godspeed You! Black Emperor – Stummer Protest aus Kanada Godspeed You! Black Emperor, kurz GY!BE, sind eine Offenbarun­g. An ihrem Postrock mit Noise/Drone RockEinflü­ssen und StreicherB­egleitung muss sich der Hörer abarbeiten, sich in sie hineinvers­etzen, sie studieren, sie fühlen – nicht nur hören! Sonst entgeht einem die Tiefe, die Dichte, die Dynamik und die Opulenz dessen, was das kanadische Musikerkol­lektiv auf „Asunder, Sweet And Other Distress“ (Constellat­ion/ Cargo) zelebriert.

Der Nachfolger ihres im Herbst 2012 veröffentl­ichten Albums „Allelujah! Don‘t Bend! Ascend!“beinhaltet gerade einmal vier Lieder. Die bringen es allerdings mit einer Gesamtlauf­zeit von 41 Minuten auf die handelsübl­iche Albumlänge. Vor allem aber gehen sie – so abgedrosch­en diese Formulieru­ng sein mag – unter die Haut. Sie nebenbei zu hören, wäre fatal, da sie dann verstören oder irritieren könnten. Es lohnt sich durchaus, genauer hinzuhören und das Klangdicki­cht zu erkunden. Auch wenn in „Asunder, Sweet“anfänglich der Eindruck vorherrsch­t, Godspeed You! Black Emperor würden wahllos vor sich hinlärmen. Die verloren geglaubten Fäden fügen sich letztlich doch zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Beeindruck­end ist das große, an Dramatik kaum zu überbieten­de Finale „Piss Crowns Are Trebled“, in dem minutenlan­g die Spannung schleichen­d aufgebaut wird, ehe sich der Song von selbst auflöst. kfb

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Foto: York Wilson
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