Fabelhafte Sangeskunst
„The Embers Of Time” von Josh Rouse und „Carousel One” von Ron Sexsmith – Folkmusik auf hohem Niveau
Budzillus „Besser wird’s nicht“(Munka Munka Records/Rough Trade): Explizite Live-Musik wie der Rock’n’Roll-Surf-BalkanPolka-Folk-Swing-Ska-Punk dieser Berliner verlangt nicht gerade nach Sofa-Hören via CD – nach gezielter Platzierung im Fernsehen offenkundig schon: „Polizeiruf 110“und das „Hauptstadtrevier: Heiter bis tödlich“profitierten vom partytauglichen Berliner-Schnauze-Rabaukentum des schräg-fidelen Fünfers. „Immer weiter“war ja das Motto der letzten Platte, auf diesem dritten Album klingt’s (augenzwinkernd) nach Schlussstrich. So kokettiert auch der letzte Song („Schall und Rauch“) im Titel mit der Vergänglichkeit – im Text freilich geht der Blick eindeutig in Richtung Zukunft. Ganz gewiss werden uns diese StimmungsGaranten noch lange einheizen.
= grandios = hervorragend = stark = solide = diskutabel = dürftig Das Zeitalter der güldenen Songschmiedekunst ist so unvergänglich wie wertvoll. Ein jeder Freund zeitlos unaufgeregter Popmusik weiß das zu schätzen und sehr viele halten deswegen sowohl Josh Rouse als auch Ron Sexsmith in Ehren. Beiden verdanken wir etliche Genre-Juwelen. Zunächst zu jenem Mann, der in Nebraska geboren wurde und seine Wahlheimat Nashville mittlerweile gegen Valencia in Spanien eingetauscht hat. Ihm bescheinigte das englische Musikmagazin „Uncut“größeres Talent als Ryan Adams und Conor Oberst. Das Q-Magazin kürte sein Album „1972“sogar zum „intimsten Album des Jahres“. Tatsächlich liegt Josh Rouse das Pop-affine Singer/Songwriter-Publikum längst zu Füßen. „The Embers Of Time“( Yep Roc/ Cargo) entstand in einer Zeit der Krise und des Umbruchs für den Künstler. Er, der ohne Vater aufwuchs, wurde selbst Vater und sah sich plötzlich mit einer ausgewachsenen Midlife-Crisis konfrontiert. Am schönsten und intensivsten behandelt „New Young“den Rückblick auf die eigene Kindheit, die Suche nach den Angst auslösenden Irritationen – verbunden mit großer Sehnsucht nach dem Ländlichen. Die Melodie ist steinerweichend, die Erkenntnisse sind befreiend, die Musik ist so countrylastig wie gänsehauttreibend. „JR Worried Blues“ist ein Tribut an das Idol JJ Cale und transportiert Rouses Wunsch sich weniger zu sorgen. „Ex-Pat Blues“wird sanft gezupft, sehr leise gesungen und schwelgt bisweilen in einem Streichermeer. Es sind wunderbare Lieder – voller Wärme, Tiefe, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, aber auch Leichtigkeit.
Weil der Back-Katalog von Ron Sexsmith noch ein wenig umfangreicher ist als jener von Josh Rouse findet man hier natürlich noch ein paar Meisterwerke mehr. Schon beim ersten Stück von „Carousel One“( Cooking Vinyl/ Indigo) ahnt man, dass jetzt ein weiteres hinzu kommt. Lustig, dass es auch bei Sexsmith ausgerechnet der dritte Album-Track ist, der als astreine, Pedal Steel veredelte Country-Ballade in den Bann zieht. Doch wenngleich Rouse und Sexsmith mühelos als Brüder im Geiste zu identifizieren sind, zeigt der weitere Verlauf von Josh Rouse hat auf seinem neuesten Album seine ausgewachsene Midlife-Crisis verarbeitet. „Carousel One“doch recht eindeutig, dass der Kanadier – im Gegensatz zu dem USAmerikaner – gerade eine vergleichsweise entspannte Zeit hinter sich hat. Und so trägt das versammelte Liedgut nur ausnahmsweise Titel wie „Tumbling Sky“, dafür weit häufiger solche: „Lucky Penny“, „Loving You“oder „Sun’s Coming Out“. Seine Stimme klingt vollmundiger, ausgeruhter, selbstbewusster und auch verführerischer denn je. Sie ist erneut der reinste Seelenbalsam. Wärme, Ideenreichtum, Uneitelkeit – das sind die Begriffe, die man jedem Ton dieses fabelhaften Albums attestieren kann. Rhythmische und melodische Raffinessen bevölkern die Stücke zuhauf, das Schlagwerk agiert flexibel, gelegentlich infiltriert eine schlingernde Orgel Soul-Feeling und eine Pedal Steel Country-Flair, immer wieder begeistern köstliche Klavierläufe. Traditionell ist es bei Ron Sexsmith stets der denkbar schmalste Grat zwischen dem fünften und sechsten Wertungspunkt – aber exakt dazwischen bewegen sich auch diese 16 neuen Songs.
„Asunder, Sweet And Other Distress“von Godspeed You! Black Emperor – Stummer Protest aus Kanada Godspeed You! Black Emperor, kurz GY!BE, sind eine Offenbarung. An ihrem Postrock mit Noise/Drone RockEinflüssen und StreicherBegleitung muss sich der Hörer abarbeiten, sich in sie hineinversetzen, sie studieren, sie fühlen – nicht nur hören! Sonst entgeht einem die Tiefe, die Dichte, die Dynamik und die Opulenz dessen, was das kanadische Musikerkollektiv auf „Asunder, Sweet And Other Distress“ (Constellation/ Cargo) zelebriert.
Der Nachfolger ihres im Herbst 2012 veröffentlichten Albums „Allelujah! Don‘t Bend! Ascend!“beinhaltet gerade einmal vier Lieder. Die bringen es allerdings mit einer Gesamtlaufzeit von 41 Minuten auf die handelsübliche Albumlänge. Vor allem aber gehen sie – so abgedroschen diese Formulierung sein mag – unter die Haut. Sie nebenbei zu hören, wäre fatal, da sie dann verstören oder irritieren könnten. Es lohnt sich durchaus, genauer hinzuhören und das Klangdickicht zu erkunden. Auch wenn in „Asunder, Sweet“anfänglich der Eindruck vorherrscht, Godspeed You! Black Emperor würden wahllos vor sich hinlärmen. Die verloren geglaubten Fäden fügen sich letztlich doch zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Beeindruckend ist das große, an Dramatik kaum zu überbietende Finale „Piss Crowns Are Trebled“, in dem minutenlang die Spannung schleichend aufgebaut wird, ehe sich der Song von selbst auflöst. kfb