Milch ist besser als ihr Ruf
Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Anti-Milch-Kampagnen nicht gerechtfertigt – Allerdings besteht noch Forschungsbedarf
Die gesundheitliche Bewertung der Milch gehört zu den beliebtesten und ältesten Reizthemen der Ernährungsszene. Gesunde Knochen und Zähne, eine gute Figur, leichteres Abnehmen und eine bessere Sättigung aufgrund des Milcheiweißes sagen Milchbefürworter. Mittelohrentzündung, Verschleimung, Akne, Krebs und Herzinfarkt die Milchgegner. Auf Internetseiten und in Büchern wird dazu auch mit Studien argumentiert. Vielen Lesern dürfte dabei jedoch verborgen bleiben, das auf Seiten der Milchgegner die Ergebnisse nicht selten überzogen oder einseitig dargestellt werden.
Ein paar Beispiele aus der Fachliteratur jüngeren Datums zeigen, dass die allermeisten Unkenrufe zur Milch nicht nachvollziehbar sind. So fanden australische Forscher bei der Auswertung von zwölf Langzeitbeobachtungsstudien keine eindeutigen Hinweise darauf, dass der Konsum von Milchprodukten mit einem höheren Risiko für koronare Herzkrankheiten einhergeht. Bei Frauen ging ein hoher Konsum von Milch und Milchprodukten, insbesondere von Käse, mit einem verringerten Herzinfarktrisiko einher, wie eine Studie der Universität Stockholm gezeigt hat. Professor Dr. Gerhard Jahreis und Christin Arnold von der Universität Jena kamen 2011 in einer Übersichtsarbeit ebenfalls zu dem Schluss, dass es keine überzeugenden Hinweise dafür gibt, dass Milchfett das Risiko für Herz- und Gefäß-Erkrankungen erhöht.
Der World Cancer Research Fund, eine weltweit vernetzte gemeinnützige Hilfsorganisation für Krebsprävention, fand in seiner Auswertung der weltweit verfügbaren Literatur weder überzeugende noch wahrscheinliche Belege für den oft geäußerten Vorwurf, Milch und Milchprodukte würden Krebs fördern. Ob in der Milch aber nicht doch einzelne, möglicherweise problematische Inhaltsstoffe stecken, wird weiter erforscht. Auch portugiesische Wissenschaftler fanden in einer Übersichtsarbeit keinen Grund dafür, die Milch aus gesundheitlichen Gründen vom Speiseplan auszuschließen.
Die einzige Ausnahme sind Milchallergiker. Eine Allergie gegen Milcheiweiß gehört im Kindesalter zu den häufigeren Unverträglichkeiten, meist verwächst sie sich jedoch und ist daher bei Erwachsenen höchst selten. Wer an einer Laktose-Intoleranz leidet, einer – manchmal vorübergehenden – Unfähigkeit, Milchzucker zu verdauen, verträgt aber meist Käse. Auch laktosereduzierte Milchprodukte sorgen dafür, dass die zehn bis 15 Prozent Betroffenen in Deutschland nicht völlig auf Milch verzichten müssen. Die portugiesische Arbeit betont auch, dass der Konsum von Milch und Milchprodukten bei entsprechender Verträglichkeit zur Vermeidung von Übergewicht, Diabetes und manchen Krebsformen beitragen könne. Allerdings sei nicht immer klar, ob dies ein milchspezifischer Effekt ist oder ob Milchtrinker und Joghurtesser sich generell gesünder ernähren als etwa Limonadenfans.
Auch andere Studien – etwa der Uniklinik von Cardiff ( Wales) und der Universität Toronto (Kanada) – weisen auf ein vermindertes Diabetesrisiko mit steigendem Milchproduktekonsum hin. Wissenschaftler der Universität Washington haben in einer aktuellen Querschnittstudie gezeigt, dass der Zuckerund Insulinhaushalt der Probanden umso besser funktionierte, je mehr Milchfett sie konsumierten. Eine an der Universität von Queensland (Australien) durchgeführte Langzeitbeobachtungsstudie über 16 Jahre konnte zeigen, dass Milch und Milchprodukte vor Herz- und Gefäßerkrankungen schützen. Vollfette
Professor Dr. Gerhard Jahreis, Universität Jena Obwohl es vor allem im Internet vor Warnungen wimmelt, Milch mache krank und dick, gibt es dafür keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise. Vielmehr überwiegen positive Effekte.
Milchprodukte bieten offenbar den besten Schutz. Für andere Krankheiten konnte jedoch keine eindeutige Schutzwirkung belegt werden.
Diese Beispiele zeigen, dass vieles für einen maßvollen Milchkonsum spricht, zumindest bei Menschen, die nicht an einer Unverträglichkeit leiden. Forscher der Universität im schwedischen Uppsala präsentierten Ende vergangenen Jahres allerdings eine Studie, die für Aufruhr sorgte: Männer und Frauen mit einem hohen Milchkonsum von mehr als drei Gläsern täglich weisen demnach eine erhöhte Sterblichkeit und Frauen ein erhöhtes Osteoporoserisiko auf. Andererseits ging ein hoher Konsum von fermentierten Milchprodukten wie Joghurt und Käse mit verminderten Risiken einher. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es für Erwachsene nicht sinnvoll ist, große Mengen unfermentierter Milch zu verzehren. Andere Studien zur Milch geben jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass Milchtrinker früher sterben. Dass Milchtrinken allein nicht reicht, die Knochen zu stärken und vor Osteoporose zu schützen, ist bekannt. Damit das Kalzium aus der Milch in die Knochen eingebaut wird, sind zum Beispiel auch ausreichend Vitamin D und regelmäßige, intensivere körper- liche Bewegung erforderlich.
In Deutschland gehört Professor Dr. Bodo Melnik von der Universität Osnabrück zu den ausgewiesenen Milchkritikern. In vielen Publikationen wies er auf mögliche schädliche Effekte vor allem des Milchproteins hin, unter anderem, weil es den Insulinspiegel und die insulinähnlichen Wachstumsfaktoren (IGF) ansteigen lässt, was das Krebsrisiko erhöhen könnte. Doch räumt auch Melnik in jüngerer Zeit ein, dass die gesundheitlichen Effekte der Milch davon abhängen, in welchem Gesundheits- und Fitnesszustand sich der betreffende Konsument befindet. Ein hoher Verzehr könnte bei insulinresistenten und unfitten Menschen und zusammen mit einer zuckerund stärkereichen Ernährung problematisch sein. Wer sich dagegen kohlenhydratreduziert (zum Beispiel weniger Kuchen, Kekse, Nudeln, Brot, Süßigkeiten und Softdrinks) ernährt und körperlich aktiv ist, kann von den wachstumsfördernden Effekten der Milch durchaus profitieren.
Die bisher vorliegenden Daten lassen demnach keine generelle Gesundheitsgefährdung durch Milch und Milchprodukte erkennen. Daher gibt es derzeit keinen Grund, generell von Milch und Milchprodukten abzuraten. Im Gegenteil: Meist überwiegen neutrale bis positive Effekte. Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung verdienen Milch und Milchprodukte daher ihren Platz. Sie sind jedoch kein Muss. Wer keine Milch mag oder sie nicht verträgt, soll sie weglassen und sehen, ob sich eventuelle Beschwerden bessern.
Zu diesem Ergebnis kommt auch das Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) in der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Dort forschte man ein ganzes Jahr lang nach Belegen für die negativen Aussagen der Milchgegner. Doch weder fanden sich beispielsweise Beweise dafür, dass Milch „verschleimt“noch dass sie die Knochen zerstört. In einer Kurzfassung ihrer Ergebnisse, die im Internet heruntergeladen werden kann, fordern die Forscher daher: Freispruch für die Milch!
http://www. kern. bayern. de/ wissenschaft/ 107510/ index. php