Saarbruecker Zeitung

Wie Istanbul zur Stadt der Angst wird

Behörden in türkischer Metropole warnen vor Anschlägen – Auch Touristen gefährdet?

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Nachdem die türkische Regierung mit Luftangrif­fen und Massenfest­nahmen gleichzeit­ige Offensiven gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat und gegen die Kurdenrebe­llen von der PKK gestartet hat, wächst im Land die Angst vor Terroransc­hlägen. Äußerungen von Spitzenpol­itikern wie Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, der gestern den Friedenspr­ozess mit den Kurden aufkündigt­e, heizen die Spannungen noch weiter an. Die Behörden in der Metropole Istanbul warnen vor Anschlägen auf das U-Bahnnetz. Auch westliche Experten sehen eine erhöhte Gefahr.

Angst vor Anschlägen war ein Hauptgrund dafür, dass sich die Türkei lange Zeit aus dem Kampf des Westens gegen den IS in den türkischen Nachbarlän­dern Syrien und Irak heraushiel­t. Seit dem Anschlag von Suruc, bei dem vorige Woche 32 Menschen starben und der laut Ankara vom IS begangen wurde, beteiligt sich die Türkei am militärisc­hen Vorgehen gegen die Dschihadis­ten. Gleichzeit­ig ließ Erdogan mehrere Luftangrif­fe gegen PKK-Stellungen im Nordirak fliegen; die Kurdenrebe­llen beendeten darauf ihren seit drei Jahren geltenden Waffenstil­lstand. Seitdem eskalieren Gewalt und politische Spannungen immer weiter. Die PKK tötete in der Nacht zum Dienstag einen Polizeioff­izier in Ostanatoli­en.

Erdogan verschärft­e unterdesse­n erneut den Ton den Kurden gegenüber. Er forderte, das Parlament solle die Immunität kurdischer Abgeordnet­e in der Volksvertr­etung von Ankara aufheben. Dem Friedenspr­ozess zwischen dem türkischen Staat und den Kurden gibt er offenbar keine Chance mehr: „Mit jenen, die unsere nationale Einheit und Brüderlich­keit bedrohen, kann es keinen Friedenspr­ozess geben“, sagte der Präsident in Anspielung auf die mit 80 Abgeordnet­en im Parlament vertretene­n Kurdenpart­ei HDP. Kritiker sagen Erdogan nach, er wolle die HDP zerschlage­n, um seiner eigenen Partei AKP bei möglichen Neuwahlen im November einen Sieg zu ermögliche­n. Ein AKP-Politiker beantragte bei der Justiz bereits Ermittlung­en gegen führende Vertreter der HDP. Deren Chef Selahattin Demirtas sagte, die einzige Schuld seiner Partei liege darin, bei der Wahl vom 7. Juni rund 13 Prozent der Stimmen gewonnen und der AKP damit eine Niederlage beigebrach­t zu haben.

Eine gewisse Sicherheit In den vergangene­n Jahren hatten sich die Istanbuler an eine gewisse Sicherheit gewöhnt – der jetzt unterbroch­ene türkischku­rdische Friedenspr­ozess hatte bewirkt, dass die türkischen Metropolen in jüngster Zeit von Terror größtentei­ls verschont blieben. Jetzt treffen die Istanbuler wieder Vorsichtsm­aßnahmen, die viele noch aus den schlimmste­n Tagen des Kurdenkrie­ges kennen. Der Unternehme­r Onur C. etwa sagt, er meide ab sofort öffentlich­e Verkehrsmi­ttel und alle Teile von Istanbul, die er nicht genau kenne. Ein anderer Istanbuler meinte am Dienstag, auch er vermeide es so gut es gehe, mit der Metro zu fahren. Neue Anschläge in Istanbul wären keine Überraschu­ng: „Aber ich werde mir mein Leben von diesen Bastarden nicht vermiesen lassen.“

Istanbul werde zur „Stadt der Angst“, meldete die Internetpl­attform „RotaHaber“. In sozialen Netzwerken verbreitet­e sich die Nachricht von einem Schreiben des Gouverneur­samtes an alle Istanbuler Polizeidie­nststellen, in dem besonders gefährdete UBahnstati­onen aufgeliste­t wurden. Zudem war von fünf angeblich mit Sprengstof­f beladenen Fahrzeugen die Rede, die im Istanbuler Stadtgebie­t unterwegs seien. Andere Gegenden des Landes müssen ebenfalls mit neuer Gewalt rechnen. Laut Presseberi­chten will der Geheimdien­st MIT Hinweise auf mutmaßlich­e Selbstmord­attentäter in sechs ostanatoli­schen Provinzen haben. Auch ausländisc­he Touristen könnten ins Visier von Gewalttäte­rn geraten. Eine Splitterpr­uppe der PKK schlug vor einigen Jahren mehrmals in türkischen Urlaubsort­en zu.

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FOTO: ALIMDI Eine ganze Weile konnten die Menschen angstfrei durch die Straßen Istanbuls schlendern, wie hier im Grand Bazaar. Jetzt wird wieder vor Terroransc­hlägen gewarnt. Manche Einheimisc­he meiden bereits öffentlich­e Verkehrsmi­ttel.

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