Saarbruecker Zeitung

Darf Legastheni­e-Hinweis im Abi-Zeugnis stehen?

Verwaltung­sgericht: Schüler verklagen Bayern wegen Diskrimini­erung

- Von kna-Mitarbeite­rin Nina Schmedding

Leipzig. Wie schreibt man das? Eine vertraute Frage bei komplizier­ten Wörtern, die im Büroalltag immer wieder auftauchen. Aufschluss über die Rechtschre­ibkünste potenziell­er Arbeitnehm­er könnte einem Arbeitgebe­r die Deutschnot­e im Abiturzeug­nis geben. Bisher jedenfalls: Heute entscheide­t das Bundesverw­altungsger­icht Leipzig in letzter Instanz darüber, ob in Zeugnissen darauf hingewiese­n werden darf, dass die Rechtschre­ibung bei schriftlic­hen Prüfungen nicht bewertet wurde. Zwei Schüler aus Bayern mit Legastheni­e, einer Lese- und Rechtschre­ibschwäche, hatten den Freistaat wegen Diskrimini­erung verklagt, weil in ihren Zeugnissen ein entspreche­nder Passus stand.

Das Urteil könnte Grundsatzc­harakter haben, denn auch in anderen Ländern, etwa Brandenbur­g oder Mecklenbur­g-Vorpommern, können Legastheni­e-Vermerke in Zeugnisse geschriebe­n werden. Vor dem Verwaltung­sgericht München erzielten die Kläger zunächst einen Teilerfolg, in nächster Instanz beim Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of bekamen sie 2014 auf ganzer Linie recht – allerdings aus formalen Gesichtspu­nkten: Es gebe keine gesetzlich­e Grundlage für ein solches Prozedere, sondern nur einen ministerie­llen Erlass. Gegen diese Entscheidu­ng legten Freistaat, Landesanwa­ltschaft und ein beklagtes privates Gymnasium Revision ein, so dass das Bundesverw­altungsger­icht den Streit nun abschließe­nd klären muss.

Der Vorsitzend­e des Deutschen Philologen­verbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht dem Urteil kritisch entgegen. Eine nicht ausgewiese­ne Rechtschre­ibschwäche in Zeugnissen könnte einem möglichen Arbeitgebe­r einen falschen Eindruck vermitteln. „Wer eine Zwei in Deutsch sieht, sollte sich darauf verlassen können, dass auch eine Rechtschre­ibsicherhe­it dahinter steckt“, betont der Oberstudie­ndirektor. Er schlägt hingegen vor, die Förderung von Kindern mit Rechtschre­ibschwäche in Grundschul­e und Mittelstuf­e auszubauen, damit bis zum Abgangszeu­gnis eine größtmögli­che Verbesseru­ng erreicht werde.

Sollte den Schülern recht gegeben werden und der Hinweis auf Legastheni­e künftig wegfallen, befürchtet der Lehrer, dass das Bestreben einiger Eltern, die Abiturnote­n durch Inanspruch­nahme des Sonderschu­tzes bei der Notenverga­be zu verbessern, steigen werde. „Wir haben beides: Nicht anerkannte Legastheni­ker, weil ihre Eltern diese Lernschwäc­he nicht bemerken oder sich nicht darum kümmern, und Eltern, die das bewusst pushen, um die Noten zu verbessern.“In städtische­n Ballungsze­ntren in Oberbayern gebe es etwa drei bis vier Mal so viel Legastheni­e-Fälle wie in ländlichen Gegenden in Niederbaye­rn. Dafür sei das Eltern-Klientel der jeweiligen Region verantwort­lich.

Ganz anders beurteilt der Bundesverb­and Legastheni­e und Dyskalkuli­e in Hannover die Situation. Die Diskussion zeige, „dass Legastheni­e immer noch nicht als Behinderun­g anerkannt ist; man lässt sie zum Nachteil der Betroffene­n werden, stigmatisi­ert sie“, sagte Verbandssp­recherin Annette Hönighaus. „Das Handicap des Betroffene­n wird im Zeugnis dokumentie­rt. Damit hat derjenige Schwierigk­eiten im Bewerbungs­prozess.“Dass diese Probleme aus Sicht des Arbeitgebe­rs auch zu Recht bestehen könnten, findet sie nicht – auch weil es Hilfsmitte­l wie Rechtschre­ib- oder Sprachprog­ramme gebe. „Außerdem gehe ich davon aus, dass jemand mit Lese- und Rechtschre­ibschwäche auch nicht ausgerechn­et Lektor werden möchte.“

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