Leben in der Warteschleife
Stefanie Zofia Schulz hat geduldete Flüchtlinge in der Landesaufnahmestelle in Lebach ein Jahr lang mit der Kamera begleitet
er kleine afghanische Junge sitzt auf einem abgewetzten braunen Teppichboden, vor ihm ein Ventilator im sonst kahlen Zimmer. Der künstlich erzeugte Wind bläst ihm durchs schwarze Haar, sein Gesicht ist nicht zu sehen, denn er dreht dem Betrachter den Rücken zu. Vertreibt der Junge sich die Langeweile? Hat er sonst nichts zu tun? Und wer ist dieses Kind, das ein wenig verloren vor diesem Gerät sitzt?
Stefanie Zofia Schulz hat das Bild 2013 in der Landesaufnahmestelle für Vertriebene und Flüchtlinge in Lebach aufgenommen. Die 28-Jährige dokumentierte ein Jahr lang – von August 2012 bis August 2013 – das Leben dort. „Duldung“heißt ihre Fotoreportage, mit der sie ihre Ausbildung an der renommierten Berliner Ostkreuzschule für Fotografie abschloss und das Leben derjenigen festhielt, die als Asylsuchende abgelehnt wurden und nun als sogenannte Geduldete täglich um ihr Bleiberecht, ihre Existenz bangen.
Das Foto des kleinen Jungen sagt viel über die Atmosphäre im „Lager“– wie es die Leute nennen – aus: Man wartet, man langweilt sich, die Welt ist reduziert auf elementarste Dinge. Es ist eine klare, reduzierte Bildsprache, die nichts beschönigt, aber auch nicht dramatisiert. Schulzes Fo- toreihe ist mittlerweile in renommierten Magazinen wie der „Zeit“und „Spiegel online“erschienen, auch auf internationalen Fotografie-Festivals war sie mit ihrer Arbeit eingeladen. Die Zahl der Asylsuchenden steigt – und mit ihr der Platzmangel in Aufnahmestellen wie in Lebach, wo Zelte als provisorische Unterkunft dienen müssen, weil täglich Dutzende kommen. Als Aussiedlerheim 1959 eröffnet, wurde es später zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge erweitert. Viele geduldete Flüchtlinge warten dort seit Jahren auf die endgültige Klärung ihres Status. Nur wenige Menschen im „Lager“blicken direkt in die Kamera. „Viele schämen sich“, sagt die Fotografin, der es behutsam gelang, Einblicke zu erhalten in das Leben ganz unterschiedlicher Menschen aus vielen Kulturen, die auf engstem Raum und in fremder Umgebung gezwungen sind, miteinander auszukommen.
„Lebach ist ein Ghetto. Es ist ein Mikrokosmos mitten im Saarland, mitten im Grünen“, erzählt sie. „Die Wohnblocks sind nach den Herkunftsländern eingeteilt. In Kontakt kommen die Leute aller Generationen und Länder auf der Straße.“Zurzeit kommen in Lebach vor allem Syrer an, deren Asylantrag in der Regel Erfolg hat. Einige sind aus Afghanistan und Eritrea geflüchtet – mit ebenfalls relativ guten Chancen auf ein zunächst begrenztes Bleiberecht.
Als Stefanie Zofia Schulz vor zwei Jahren in Lebach fotografierte, waren es vor allem Menschen vom Balkan, darunter viele verschiedene Roma-Clans, deren Geschichten und Schicksale sie kennenlernte. Viele von ihnen leben noch immer dort. Asyl in Deutschland zu bekommen, ist fast unmöglich und so haben die, die noch nicht abgeschoben wurden, meist eine Duldung, die sich oft schon über Jahre hinzieht. Um die Duldung dreht sich alles. Ist man geduldet, ist die Abschiebung „vorübergehend ausgesetzt“, wie es im Gesetz heißt. Es liegt im Ermessen der Behörden, ob ein Geduldeter eine Arbeitserlaubnis erhält. Eine Duldung kann immer wieder verlängert werden, jeweils maximal für drei Monate. „Selbst bei den Kindern ist deshalb der sogenannte Status ein Riesen-Thema, ständig geht es um Papiere.“
Wie nervenaufreibend die Auseinandersetzung mit Behörden ist, hat die 28-jährige Wahl-Berlinerin mit St. Ingberter Wurzeln selbst erfahren. 2007 verliebte sie sich in der Saarbrücker Kneipe, in der sie als Bedienung jobbte, in den Koch: ein Tamile