Wachsender Durst nach sauberem Wasser
Metropolen wie Mexiko-Stadt leiden unter schlechter Versorgung – Experten: Kriege um Wasser in der Zukunft denkbar
Vom 23. bis 28. August lädt Schweden zur Weltwasserwoche. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist seit fünf Jahren ein Menschenrecht. Dennoch bleibt dieses Recht Millionen Menschen weltweit verwehrt.
Mexiko-Stadt. Für Sonia Najera und ihre Familie hat der morgendliche Gang in Küche oder Bad etwas von einem Glücksspiel. Wenn die Hausfrau oder ein Mitglied ihrer sechsköpfigen Familie den Wasserhahn aufdrehen, kann es passieren, dass es nur zischt, tropft oder das Nass nicht klar, sondern milchig, rostig oder nach Chlor riechend fließt: „Man weiß das nie so genau“, sagt Frau Najera: „Wir sind ja schon froh, wenn überhaupt Wasser kommt.“
Familie Najera lebt in Iztapalapa, einem der größten Stadtteile von Mexiko-Stadt. Hier wohnen knapp zwei Millionen Menschen dicht gedrängt in geduckten Häusern. Es sind vor allem Arme, Arbeitslose und Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. „Bei uns kommt das Wasser nur tröpfchenweise, und die Reichen sprengen damit ihren Rasen“, ärgert sich Sonia Najera. Zugang zu einem Gut wie Wasser ist eben auch eine Frage von Arm und Reich. Hier im Südosten von Mexiko-Stadt fokussieren sich wie unter einem Brennglas die Wasserprobleme der Megalopolis: Zu viele Menschen, lecke Leitungen, kaputte Pumpen, schlechte Qualität des Wassers und ein Staat, der kaum nachhaltige Lösungen für ein drängendes Versorgungsproblem hat. Die Situation ist eine Blaupause für fast alle Megacitys in der Region und weltweit.
Manchmal bleibt das Wasser im Haushalt der Najeras mehrere Tage weg. Dann schickt die Mutter die Kinder mit Eimern zu den Tankwagen, die in den Sommermonaten das Straßenbild in Iztapalapa prägen. Die „Pipas“genannten Wassertanker bringen dann täglich bis zu 3,5 Millionen Liter.
Experten von der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt (Unam) gehen davon aus, dass die Hälfte der Haushalte der zweitgrößten Stadt der Welt nur sporadisch mit Wasser versorgt wird. Rund 1,3 der 22 Millionen Menschen im Großraum Mexiko-Stadt leben ganz ohne Zugang zu fließendem Wasser. „Es gibt immer weniger und immer schlechteres Wasser“, sagt Jorge Alberto Arriaga, vom WasserObservatorium an der Unam.
Neben den menschgemachten Problemen in Mexico City erschweren geografische Nachteile die Wasserversorgung: Die Metropole liegt fernab jeden Gewässers und zudem auf einer Hochebene über 2200 Meter. Es sei schlicht unmöglich, eine derart gigantische Stadt dauerhaft und umweltverträglich mit Wasser zu versorgen, warnen Experten bereits seit Jahren. Zudem sprengt der Durst der Metropole schon längt den Rahmen. Knapp 300 Liter Wasser verbraucht jeder der 22 Millionen Bewohner durchschnittlich pro Tag und damit gut doppelt so viel wie in Deutschland. Bewusstsein für die knappe Ressource ist jenseits der Schichten, die kaum was haben, unbekannt.
Fast zwei Drittel des Wassers, das im Großraum Mexiko verbraucht wird, kommt aus Tiefenbrunnen. Mehr als 2000 Pumpen verteilt über das ganze Stadtgebiet saugen jeden Tag Millionen Liter des blauen Goldes immer tiefer unter der Betonwüste hervor. Das Ergebnis: Teile der Stadt sacken ab. Ein weiteres gutes Drittel des in der Megalopolis verbrauchten Nass’ wird über Stausysteme im Bundesstaat Mexiko über mehrere Bergketten aus mehr als 150 Kilometern Entfernung in die Stadt geschafft. Lediglich zehn Prozent werden aus Oberflächenwasser wie Flüssen, Regenwasser und Ähnlichem gedeckt. Eine Ver- teilung, die schon auf mittlere Sicht nicht mehr tragbar ist.
Aber andere Städte in Lateinamerika haben ähnliche Probleme. Auf dem Subkontinent befindet sich zwar ein Drittel der Süßwasserreserven des Planeten, aber in der Liste der 20 Städte mit den größten Wasserproblemen weltweit stehen gleich drei lateinamerikanische Metropolen. Neben MexikoStadt sind das Lima und Rio de Janeiro.
Klimawandel, Verstädterung, Ausschluss der Armen von der Versorgung und Kommerzialisierung eines Rohstoffs, der in Augen vieler ein Menschenrecht ist, seien die großen He- rausforderungen, betont Raúl Pacheco-Vega vom Forschungsinstitut Cide in Mexiko-Stadt, der sich mit den politischen Konsequenzen der Wasserknappheit beschäftigt. Zentrales Problem aber bleibt die Verbesserung der Infrastruktur: In Lateinamerika gehen nach Berechnungen der Weltbank 40 Prozent des Trinkwassers auf dem Weg von der Quelle zum Konsumenten wegen maroder Leitungen verloren.
Die Uno fürchtet, dass die Nachfrage nach Wasser bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent höher als dessen Gewinnung sein wird. Neben Lateinamerika sind vor allem Asien und hier China und Indien mit wachsender Urbanisierung und explodierender Industrialisierung Brennpunkte defizitärer Wasserversorgung. „Je weniger Wasserressourcen es gibt, desto höher ist das Risiko der Entstehung von Wasserkriegen auch innerhalb von Ländern, beispielsweise zwischen sozialen Gruppen mit verschiedenen Wirtschaftsinteressen“, sagt Peter Gleick vom Pacific Institute in Oakland (USA). Zwischen 2010 und 2013 hat das Institut 41 Konflikte um Wasser ermittelt – einer in Ozeanien, sechs in Asien, acht in Lateinamerika, elf in Afrika und 15 im Nahen Osten.
Und Besserung ist zumindest in Mexiko kaum in Sicht: Trotz der weitgehend bekannten Probleme macht die Stadt so weiter wie bisher. Der Austausch der lecken Bleirohre unter dem Asphalt durch solche aus Polyethylen kommt nur schleppend voran.
Helfen könnte nach Expertenansicht der Bau von Kläranlagen, denn nur knapp 15 Prozent der Abwässer werden in Mexiko aufbereitet. Zudem müssten die Wasserpreise steigen, der Pro-Kopf-Konsums reduziert und das Regenwasser besser genutzt werden.
Aber längst ist es für viele Menschen in Mexiko Normalität, die kommunale Wasserversorgung zu ergänzen – vor allem mit dem „Pipas“, aber zunehmend auch durch Flaschenwasser. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Euromonitor International war Mexiko vergangenes Jahr das Land mit dem höchsten Verbrauch an Flaschenwasser weltweit. Jeder Mexikaner hat 163,5 Liter konsumiert.
663 Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Quelle: Unicef