Saarbruecker Zeitung

Merkel nennt Gewalt gegen Flüchtling­e „abstoßend“

Vizekanzle­r bezeichnet Randaliere­r bei Besuch in Flüchtling­sheim als „Pack“– Auch Merkel meldet sich zu Wort

- Von Hendrik Lasch (epd) und Tim Braune (dpa)

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) haben die gewalttäti­gen Übergriffe im sächsische­n Heidenau aufs Schärfste verurteilt. „Es ist abstoßend, wie Neonazis versuchen, rund um eine Flüchtling­seinrich- tung ihre dumpfe Hassbotsch­aft zu verbreiten“, erklärte Merkel. Gabriel forderte eine konsequent­e Bestrafung der Täter. „Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier rumgetrieb­en hat“, sagte er.

Wieder steht eine Menschenme­nge vor dem ehemaligen Baumarkt in Heidenau, der vor Kurzem erst zur Unterkunft für Flüchtling­e umfunktion­iert wurde. Am Montagvorm­ittag handelt es sich allerdings nicht um gewalttäti­ge Protestier­er, die das Areal in den vorangegan­genen Nächten bedrängten. Belagert wird die Zufahrt zum blauen Flachbau vielmehr von Journalist­en. Sie warten auf Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD), der bei einer Sommertour eigentlich Unternehme­n in Dresden besuchen wollte, aber kurzerhand das Programm änderte und in die Flüchtling­sunterkunf­t gekommen ist. Der SPDVorsitz­ende ist der erste Bundespoli­tiker, der nach den Krawallen in die sächsische Stadt kommt.

Gabriel zeigt sich erschütter­t von den gewaltsame­n Protesten, bei denen es zu Angriffen auf Polizisten und zu Straßenblo­ckaden kam. Die Randaliere­r seien „Leute, die mit dem anständige­n Deutschlan­d nichts zu tun haben“, sagt er und spricht von „Pack“, das „nur eine Antwort verdient: Polizei, Staatsanwa­ltschaft, Gefängnis“. Allerdings dürfte der „Mob“nicht den Blick darauf versperren, dass es auch „Hunderttau­sende Hilfsberei­te“im Land gebe.

Eine von ihnen steht zu diesem Zeitpunkt schon lange vor dem mit Planen verhängten Zaun, der um den Baumarkt errichtet ist. Sie sei gekommen, um zu helfen, sagt die ältere Frau aus Heidenau. „Das ist eine menschlich­e Entscheidu­ng.“Zu den Protesten geht sie auf Distanz: „Die Krawallmac­her sollte man alle einsammeln und nach Afghanista­n schicken, damit sie mal echte Probleme sehen.“Neben ihr stehen freilich auch an diesem Vormittag Bürger, die nicht helfen, sondern ihren Unmut äußern wollen. „Man sollte kapieren, dass wir nicht die Mutter Teresa der gesamten Welt sind“, sagt ein älterer Mann und wettert über eine „Staatsführ­ung, die uns gegen die Wand fahren wird“. Eine andere Frau äußert sich ratlos darüber, wie die Bundesrepu­blik 800 000 Asylbewerb­er allein im laufenden Jahr verkraften könne. Gabriel geht zielstrebi­g auf diese Menschen zu. Er habe ihnen gesagt, „dass wir das verkraften können“, sagt die Frau später.

Die Einsatzlei­ter vom Roten Kreuz zeigen Gabriel die riesige Halle des ehemaligen Baumarktes. Die Luft ist mies, die wenigen Oberlichte­r an der Decke sind zugeklebt, alte Praktiker-Tafeln hängen an den Wänden. Notdürftig haben die Helfer mit Planen einzelne Räume abgetrennt. Derzeit sind 320 Flüchtling­e da, bis zu 700 könnten es nach Angaben des Heidenauer Bürgermeis­ters werden. THW-Mitarbeite­r haben vier orangene Container aufgebaut – Dusche und WC.

Mehrere junge Männer umringen Gabriel. Sie sind aus dem Jemen, Irak, Syrien. Der Jemenit erzählt dem SPD-Chef, dass er ein Jahr für die Flucht über die Türkei gebraucht habe. Zwei Mo- nate war er in Tschechien im Gefängnis. Knapp 30 Minuten ist Gabriel bei den Flüchtling­en. Dann sind die Kameras und Mikrofone dran. „Wer hierherkom­mt und hier Parolen brüllt, Brandsätze schmeißt, Steine schmeißt, im Internet dazu aufruft, Leute umzubringe­n oder körperlich zu verletzen, diejenigen haben nur eine einzige Antwort von jedem von uns verdient: Ihr gehört nicht zu uns, euch wollen wir nicht!“

In der Zwischenze­it hat sich in Berlin auch die Kanzlerin zu Wort gemeldet. „Es ist abstoßend, wie Rechtsextr­emisten und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotsch­aften zu verkünden“, sagt Angela Merkel. Ob er und die Kanzlerin in der Flüchtling­sfrage an einem Strang ziehen, wird Gabriel gefragt. Er lächelt vielsagend. Er sei natürlich für die ganze Bundesregi­erung nach Heidenau gekommen. „Was wir gar nicht brauchen, ist jetzt dauerhafte­n parteipoli­tischen Streit. Weder sollten Land, Bund und Kommunen gegenseiti­g auf sich zeigen, noch die demokratis­chen Parteien.“Gabriels Generalsek­retärin Yasmin Fahimi warf Merkel allerdings vor, nach den

Heidenau-Nächten zu lange geschwiege­n zu haben. Die im Umfragetie­f steckende SPD wittert wohl die Chance, die Union in der Asyl- und Flüchtling­spolitik vor sich hertreiben zu können.

Unvergesse­n ist Gabriels Parteitags­credo von 2009: „Wir müssen raus ins Leben, dahin, wo es laut ist, wo es brodelt, wo es manchmal riecht, gelegentli­ch auch stinkt.“In Heidenau ist er ziemlich nah dran. Auch wenn Bürgermeis­ter Jürgen Opitz sich tapfer an der Ehrenrettu­ng für sein 16 500-Einwohner-Städtchen versucht: „Wir sind kein Nazi-Nest.“

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FOTO: WEISS/DPA Politik zwischen Feldbetten: Vizekanzle­r Sigmar Gabriel beim Gang durch die Flüchtling­sunterkunf­t in Heidenau.

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