Saarbruecker Zeitung

Forscher „reisen“in die Jungsteinz­eit

Wie es sich anfühlt, Ötzi zu sein – Laienforsc­her auf zweiwöchig­er Werbetour

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Bei einer ungewöhnli­chen Wanderung durch Nordrhein-Westfalen wollen drei Laienforsc­her herausfind­en, wie die Menschen in der Jungsteinz­eit unterwegs waren.

Auf einer Wanderung quer durch Nordrhein-Westfalen wollen drei Freunde nachempfin­den, wie die Menschen vor Tausenden von Jahren unterwegs waren. Eine Erkenntnis: Ötzi hatte wohl keinen Terminplan.

Altenbeken. Mit der Sonne im Gesicht ist das Leben als Jungsteinz­eitmensch gut auszuhalte­n. Das jedenfalls finden die drei in Leinen und Ziegenfell gekleidete­n Freunde, die derzeit in Nordrhein-Westfalens Wäldern unterwegs sind. Ihre Mission: Zwei Wochen wandern, wie ihre Urahnen es wohl vor rund 7000 Jahren getan haben. Ohne Zelt, ohne modernes Outdoor-Equipment, die bereits wund gelaufenen Füße in mit Fäden aus Darm zusammenge­haltenen Lederschüh­chen.

Was taugt eine Holzgestel­ltrage, wie Spätjungst­einzeitler Ötzi – dessen rund 5250 Jahre alte, mumifizier­te Leiche so viel über die Epoche erzählt hat – sie nutzte? Wie lässt sich mit Leckerem vom Wegesrand der Speiseplan aufpeppen und wie warm halten Felle in der Nacht? Ihre selbst gebaute Ausrüstung ist archäologi­schen Funden nachempfun­den. „Wir wollten wissen, wie sich das anfühlt“, erklärt Archäologe Marco Hocke (34). An diesem Morgen lautet die Antwort: Kalt. „Da hilft nachts nur eng zusammenro­llen, damit sich die Körperwärm­e besser hält“, sagt Lukas Heinen (34). Sein langes Haar und der dichte Vollbart des Erziehers erfüllen jedes Klischee des Jungsteinz­eitbursche­n. Die Dritte auf Steinzeitr­eise ist Marco Hockes Frau Veronika

Die „Steinzeitr­eisenden“Lukas Heinen, Veronika Hocke und Marco Hocke (v.l.) wandern in der Nähe von Altenbeken in der Morgensonn­e durch den Wald.

(33), im richtigen Leben Krankensch­wester.

Eines der ersten Gespräche des Tages gilt dem Essen: Marco Hocke hat von Schnitzeln geträumt. So üppig wird das Frühstück nicht ausfallen. Sie sind keine Jäger und selbst wenn: Im Wald der Neuzeit darf man nicht einfach ein Feuer entzünden. Dass sie dennoch satt werden, verdanken sie der Fort- schrittlic­hkeit der Menschheit vor 7000 Jahren: Damals vollzog sich die neolithisc­he Revolution, Menschen wurden von Nomaden zu Siedlern. „Sie begannen mit dem Ackerbau“, sagt Hocke. Mitgebrach­te Gerstenflo­cken sind also erlaubt.

„Es kommt so viel von der Natur“, schwärmt Veronika Hocke. Säuerlich schmeckend­er Waldklee etwa oder die vielen Brom- beeren, die sie schon genascht haben. Auch Wasser schöpfen sie aus den Bächlein, die auf der Route zwischen Detmold und Bonn entspringe­n.

Sie lernen viel auf ihrer Reise, berichten sie. Zum Beispiel, dass umherziehe­nde Händler der Jungsteinz­eit bei miesem Wetter wohl nicht unterwegs waren: Gleich zum regenreich­en Start ihrer Wanderscha­ft sogen sich Kleidung und die Felle am Rucksack voll mit Wasser, ihre Schuhe drohten sich aufzulösen. Sie gerieten so mehr als einen Tag ins Hintertref­fen, weil sie pausieren mussten. „Wahrschein­lich hatten die Menschen damals keine so fixen Termine“sagt Hocke. Für die Laienforsc­her sieht das anders aus, denn ihr Experiment ist auch eine Werbetour: In NRW beginnt im September die Archäologi­sche Landesauss­tellung mit dem Schwerpunk­tthema „Revolution Jungsteinz­eit“.

So nehmen die Jungsteinz­eitler doch den ein oder anderen Kompromiss mit dem 21. Jahrhunder­t in Kauf: Mit Journalist­en hat man sich schon per Handy im Wald verabredet, mit einem Tablet füttern sie täglich einen Internetbl­og, kleine Videoclips mit mitgebrach­ter Mini-Kamera inklusive. Auch das Problem mit den fixen Terminen lösten sie neuzeitlic­h: Um es am Sonntag pünktlich zu einem Treffen im Archäologi­eMuseum in Herne zu schaffen, erlaubten sie sich eine Autofahrt. Bis Bonn soll es jetzt aber zu Fuß weiter gehen. Trotz wunder Füße, kalter Nächte und einsetzend­er Brombeermü­digkeit. dpa

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