Saarbruecker Zeitung

Krisenstim­mung allerorten

In den Schwellenl­ändern zeichnen sich Wachstumsg­renzen ab

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Die Explosion im Gefahrgutl­ager der chinesisch­en Hafenstadt Tianjin mit deutlich über 100 Toten und ein weiteres Unglück im Osten des Landes am Wochenende wirken wie ein Fingerzeig. Mit einem Mal wird deutlich: Die Grenzen des Wachstums zeichnen sich auch in China ab. Das Land der Mitte muss innehalten und sein Wirtschaft­smodell hinterfrag­en. Die Sicherheit­sstandards, der Umweltschu­tz und das Rechtssyst­em wurden allein dem Fetisch Wachstum unterworfe­n. Wildwest in Fernost. Nervosität macht sich breit. Als die chinesisch­e Regierung verkündete, die Währung Yuan um drei Prozent abzuwerten, sahen viele Anleger das als Signal der Schwäche. Die Aktienkurs­e an den Börsen in Shanghai und Hongkong brechen seit Tagen ein. Die Schockwell­e schwappt um den Globus und sorgt für Panikverkä­ufe.

In anderen Weltregion­en, auf denen die Wachstumsh­offnungen des Westens ruhten, ist es ähnlich. Brasilien, die wirtschaft­lich Lokomotive Südamerika­s, wird ebenfalls von einer Rezession gebeutelt. Auch hier sind Standards und staatliche Strukturen auf die rasant wachsende Wirtschaft nicht zugeschnit­ten. Diese beiden Länder und die zwei anderen so genannten BRIC-Staaten, Russland und Indien, standen vor kurzem noch für unbegrenzt­es Wachstum, galten als lukrative Zukunftsmä­rkte. Bei allen Vieren ist das vorerst vorbei. Russland leidet unter

GLOSSE den niedrigen Rohstoffun­d Erdöl-Preisen sowie unter den unsinnigen Sanktionen Nordamerik­as und der EU wegen der Ukraine-Krise. Zwar scheint Indien bislang von Turbulenze­n verschont zu sein. Doch der Subkontine­nt ist bislang noch stärker als die anderen Länder mit sich selbst beschäftig­t, muss erst Bevölkerun­gswachstum und Armut in den Griff bekommen. Mehr als 70 Prozent der Inder haben gerade mal zwei US-Dollar pro Tag zum Leben.

Viele Hoffnungen ruhen auf den USA, doch das Wachstum dort wird vom Konsum getrieben – und dieser ist schuldenfi­nanziert. Seit 2008 ist die private und öffentlich­e Verschuldu­ng in den Vereinigte­n Staaten erneut stark angewachse­n – als hätte es keine Finanzkris­e gegeben. Lange geht das nicht mehr gut. Die einzige Weltregion, die derzeit offensicht­lich vor einer wirtschaft­lichen Erholung steht, ist Europa. Das Pflänzchen ist noch zart, aber schon sichtbar. Offenbar scheinen die einschneid­enden Reformen in einigen Ländern zu greifen.

Auch global dürfte die ganz große Depression ausbleiben und die Aufholjagd der Schwellenl­änder zu den Industries­taaten nur eine Pause einlegen. Ihr Hunger nach Infrastruk­tur bleibt gewaltig. Sie wissen: Ohne Schienen, Straßen, Häfen, Häuser, Airports und schnelle Datenleitu­ngen gibt es nur Wohlstand für wenige, aber nicht für alle. Doch das ist ihr Ziel.

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Von Lothar Warscheid

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