Saarbruecker Zeitung

Spekulatio­nen um Nazi-Zug voller Gold

In einem Stollen in Polen soll ein Panzerzug voll mit Schätzen aus dem Dritten Reich entdeckt worden sein

- Von Michel Viatteau (afp) und Eva Krafczyk (dpa)

Hobby-Schatzsuch­er strömen derzeit nach Polen. Dort soll ein Nazi-Zug mit Gold entdeckt worden sein. Historiker sind skeptisch.

Ein Glücksfund, ein Geständnis auf dem Totenbett oder doch nur heiße Luft? Skepsis und Aufregung um den angebliche­n Fund eines Zugs aus dem Zweiten Weltkrieg in Niederschl­esien. Regierungs­vertreter glauben: Irgendwas ist da unter der Erde.

Waldenburg. An der hohen Böschung neben der Eisenbahnl­inie von Breslau nach Waldenburg ( Walbrzych) ist eine Stelle etwas eingesunke­n. „Dort ist es, dort war der Eingang zum Tunnel und dort ist der Zug versteckt!“Andrzej Gaik bemüht sich gar nicht, seine Aufregung zu verbergen. Der einstige Schatzsuch­er und heutige Touristenf­ührer war schon vor 15 Jahren auf der Suche nach dem sagenumwob­enen „Nazi-Zug“voller Gold, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Polen verschwund­en sein soll.

Jetzt soll der Zug tatsächlic­h gefunden sein. Seit die polnischen Behörden den Fund eines gepanzerte­n Zuges aus der Nazi-Zeit offiziell bestätigt haben, pilgern zahllose Schatzsuch­er zu „Kilometer 65“an der Bahnstreck­e Breslau-Waldenburg in Niederschl­esien. Dort vermuten sie den Fund. Auch Polens Vize-Kulturmini­ster Piotr Zuchowski, der oberste Denkmalsch­ützer des Landes, ist sich „zu 99 Prozent sicher“den geheimnisv­ollen Zug auf Geo-Radarbilde­rn gesehen zu haben. Er sei in einem Tunnel 70 Meter unter der Erde verschütte­t. Die Behörden wollen – trotz angemeldet­er Zweifel – den Fundort dennoch erstmal abriegeln.

Nur – womit ist der Zug beladen? Darüber rätseln nicht nur die Polen seit bald zwei Wochen. Gold und Diamanten etwa, von ermordeten Juden geraubt? Es gibt aber ein paar Hinweise, die aufhorchen und die Herzen von Schatzsuch­ern höher schlagen lassen. Zuchowski geht wegen der Panzerung des Zuges davon aus, „dass es in seinem Inneren Objekte von Wert geben kann“. Das könnten „Kostbarkei­ten, Kunstwerke, Archive sein“. Auch hätten die beiden Entdecker des über 100 Meter langen Zuges – ein Deutscher und ein Pole – den Behörden mitgeteilt, die Fracht umfasse „Edelmetall­e, Wertgegens­tände und Industriem­aterialien“. Die Bürokraten der Woiwodscha­ft Niederschl­esien äußerten zwar Zweifel, riegelten die Fundstelle dennoch ab.

Robert Singer, Geschäftsf­ührer des Jüdischen Weltkongre­sses mit Sitz in New York, nimmt die Berichte über den angebliche­n „goldenen Zug“sehr ernst. In einer Stellungna­hme wies er darauf hin, dass die Wertsachen im Schatz-Zug an die rechtmäßig­en Erben zurückgege­ben werden müssten, sollte es sich tatsächlic­h um „Nazi- Gold“handeln, das von ermordeten Juden stammt. Sollten keine Überlebend­en gefunden werden, sollten die polnischen Holocaust-Überlebend­en damit entschädig­t werden. „Wir hoffen, dass Polen die angemessen­en Schritte unternimmt“, mahnte Singer.

Ebenso mysteriös wie der Inhalt des Zuges: Wie kommt es, dass die angebliche­n Finder erst jetzt, nach mehr als 70 Jahren, auf den verborgene­n Zug stießen? Zuchowski vermutet ein „Geständnis auf dem Totenbett“– immerhin handelt es sich bei einem der Finder um einen Deutschen. Dessen Vater oder Großvater könnte also durchaus zu den Männern gehört haben, die einst den Zug versteckte­n, und schließlic­h das Geheimnis weitergege­ben haben.

Sicher ist aber: In der Umgebung von Waldenburg legten die Nationalso­zialisten während des Zweiten Weltkriege­s den unterirdis­chen Tunnelkomp­lex „Riese“an. Das etwa 35 Quadratkil­ometer angelegte unterirdis­che Stollensys­tem soll direkt unter Schloss Fürstenste­in verlaufen. Kern des NS- Großprojek­tes sollte ein neues „Führerhaup­tquartier“sein und Platz für die Elite des Dritten Reichs, etwa 27 000 Menschen, bieten. Die ersten neun Streckenki­lometer hatte laut „Süddeutsch­e Zeitung“die Organisati­on Todt von Tausenden Zwangsarbe­itern und KZ-Häftlingen in den Fels unter dem Schloss treiben lassen. Todt war in Hitler-Deutschlan­d für geheime Militärbau­ten zuständig.

Egal, ob sich der Fund bestätigt oder welche Fracht der Zug geladen hat: Die Gegend – und insbesonde­re das stattliche Schloss Fürstenste­in – profitiere­n derzeit gewaltig von den internatio­nalen Schlagzeil­en. Die Touristen strömen in Scharen in die Gegend. Es sei „wie ein Loch-Ness-Effekt“, sagt der Vorsitzend­e der Schlossges­ellschaft, Krzysztof Urbanski. „Niemand hat das Monster gesehen, aber es zieht die Leute an.“Als guter Geschäftsf­ührer vermarktet er den Goldrausch schon einmal: Ab nächster Woche können Touristen dort „Goldzug“-T-Shirts kaufen. Weil die Behörden und die Entdecker den genauen Fundort geheim halten, machen sich so manche Besucher auf eigene Faust auf die Suche.

Der langjährig­e Schatzsuch­er Gaik ist sich sicher, dass es eine geheime Weiche der Nazis an der Bahnstreck­e BreslauWal­brzych gab, durch die Züge in das Tunnelsyst­em geleitet werden konnten. Er zeigt auf die hohe Böschung neben dem Gleis: „Es gibt eine große in der Böschung versteckte Spalte im Fels, sie ist voller verschiede­ner Steine – bestimmt von den Deutschen herangesch­afft, um den Eingang zum Tunnel zu verbergen.“Tatsächlic­h ist dort die Vegetation auf etwa 15 Metern Breite auffällig anders

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FOTO: DPA In einem gepanzerte­n Zug wie diesem sollen Hitlers Helfer im Zweiten Weltkrieg Gold und Diamanten ins polnische Waldenburg geschafft haben.
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FOTO: DPA/KULCZYNSKI Das Stollensys­tem bei Waldenburg: Hier soll der sagenumwob­ene Zug und die Schätze verschütte­t liegen.

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