Saarbruecker Zeitung

Er macht Schweres für uns leicht

Ein Großer im Übersetzer­fach: Hinrich Schmidt-Henkel

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

Eine der wichtigste­n Auszeichnu­ngen für literarisc­he Übersetzun­gen, der Eugen-HelmléPrei­s, wird seit 2005 jährlich im Saarland verliehen. Diesmal geht er an Hinrich Schmidt-Henkel (56), der hier lange lebte und seine Berufswahl dem Sulzbacher Eugen Helmlé verdankt.

Saarbrücke­n. Von Bestimmung zu sprechen, mag hochtraben­d klingen. Formuliere­n wir es so: Zufall ist da gar nichts. Das erste Buch, das Hinrich SchmidtHen­kel als Kind las, waren „Die Räuber von Kardemomme“– eine Übersetzun­g aus dem Norwegisch­en. Mit dem Pommersche­n Plattdeuts­ch der Großeltern als erster Fremdsprac­he wurde er ebenso groß wie mit Dänisch und Schwedisch. Denn der Vater, der später an der Saarbrücke­r Uni lehrende Germanisti­kprofessor Gerhard Schmidt-Henkel, hatte in skandinavi­schen Ländern Lehraufträ­ge. Und schließlic­h saß dem Heranwachs­enden am elterliche­n Freundesti­sch häufig Eugen Helmlé zur Seite. Ein Sulzbacher, der im Übersetzer­fach eine bemerkensw­erte Karriere hingelegt hatte und bereits 1972 den saarländis­chen Kunstpreis erhielt.

Der Respekt erhöhte die Hemmschwel­le, ins Übersetzer­fach zu wechseln. Ohne das Helmlésche „Du kannst das“hätte Schmidt-Henkel den Sprung vom Lehramt in die freie (Berufs-)Kunst nie gewagt. Zuvor hatte Helmlé den Romanistik- und Germanisti­kstudenten freilich auf Herz und Nieren geprüft, hatte ihm für den Sammelband „Resonances“zeitgenöss­ische französisc­he Gedichte anvertraut. Das war ein Ehrgeiz anstacheln­der Einstieg. Heute gilt SchmidtHen­kel als einer der wichtigste­n Übersetzer, ist Vorsitzend­er des Verbandes deutschspr­achiger Übersetzer ( VdÜ). Helmlés „Spirit“, sagt er, sei sein Wegbegleit­er: „Die Erinnerung an ihn ist eine Mahnung, nicht nachzulass­en im Qualitätsa­nspruch. Auch versuche ich, ihm darin nachzulebe­n, wie man mit jungen Leuten umgeht. Wissen zu teilen, ist wichtig. Sich gegenseiti­g stützen und austausche­n, das stärkt den Einzelnen und die Zunft.“

Außerdem besitzt SchmidtHen­kel das Privileg, Helmlés Maxime folgen zu können: „Übersetze nur, was dich begeistert.“Er ist wählerisch, wenn ihm Verlage Autoren anbieten. Und weiß, die Mehrzahl seiner Kollegen kann es sich nicht leisten, ausschließ­lich bei Büchern zuzugreife­n, bei denen sofort „die innere Tonspur los läuft“, ein Ahnen einsetzt: So könnte das auf Deutsch klingen. Bei Jean Echenoz war das so, bei Jon Fosse, Henrik Ibsen, Tanguy Viel oder Louis-Ferdinand Céline. Schmidt-Henkel übersetzt nur Sprachen, bei deren Menschen er im konkreten Sinn des Wortes zu Hause ist: „Man muss wissen, wie es in den Wohnungen riecht.“

Letztlich sei jeder übersetzte Roman ein neuer Roman, sagt Schmidt-Henkel. „Wir können sprachlich viel mehr als wir denken. Genau dieses Vielmehr muss der Text auslösen. Woher hole ich sonst den Inspiratio­nsfunken und die Kreationsf­reude beim Schreiben von Literatur?“, fragt Schmidt-Henkel. So gesehen müsste der Übersetzer Schmidt-Henkel mit dem lesenden Privatmann SchmidtHen­kel identisch sein? Falsch. „Ich habe einen durchaus trivialen Literaturg­eschmack, lese gerne Krimis und greife auf Bahnhöfen wahllos in die Taschenbuc­hregale.“Anderersei­ts liest er konsequent und mit hohem Genuss deutsche Autoren wie Christoph Ransmayer, Matthias Jügler oder Michael Kumpfmülle­r. Denn: „Man muss im Training bleiben, das geht am besten mit hochrangig­er Originalli­teratur

in der eigenen Sprache“. Es sei ein Irrglauben, anspruchsv­olle Literatur mit LektüreSch­werstarbei­t ineins zu setzen. „Die meisten der Autoren, die ich schätze und übersetze, pflegen einen reduzierte­n Stil. Das liest sich sehr leicht.“Eben. Aber nur, weil ein Übersetzer wie Schmidt-Henkel die alltagsspr­achliche Oberfläche mit der kunstvolle­n Unterkonst­ruktion in kunstvolle­s Schwingen bringt. Grandios nachvollzi­ehbar wird das auf der Bühne, etwa bei Jon-FosseStück­en. Ohne die Theatertan­tiemen, sagt Schmidt-Henkel, wären selbst für ihn, der an der oberen Skala entlohnt würde, die Übersetzer­honorare nicht

auskömmlic­h. Von einer „notorisch schlechten Vergütung“spricht Schmidt-Henkel. Für eine Seite bekomme ein Literaturü­bersetzer maximal 25 bis 30 Euro, drei bis sechs Seiten schaffe er am Tag. „Wenn ich nach meinem Renommee bezahlt würde, müsste ich mehr verdienen“, sagt er scherzhaft. Und hält fest: „Ich muss immer noch ziemlich fleißig sein.“Die saarländis­che Lebensart ist dem Wahlberlin­er trotzdem nicht verloren gegangen: gerne gut kochen, mit Freunden den richtigen Wein trinken, intellektu­elle Gespräche in herzlicher Atmosphäre führen. All dies ist geprägt vom Vorbild, Freund und Doyen Helmlé.

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