Saarbruecker Zeitung

„Der gewohnte Alltag soll so normal wie möglich weitergefü­hrt werden können.“

- Von SZ-Redakteur Thomas Schäfer

Saarbrücke­n. Manchmal ist Nao, der kleine Roboter mit den hellblauen Augen, noch ein wenig zickig. Dann macht er nicht, was man ihm sagt, sondern blinzelt nur doof. Kinderkran­kheiten, versichert Dr. Daniel Sonntag, der mit dem kleinen Roboter Großes vorhat. Nao ist Teil einer Vision. Einer Vision im Kampf gegen das große Vergessen.

„Für den denkenden Menschen gibt es keine schlimmere Bedrohung als den Verlust seiner geistigen Leistungsf­ähigkeit, die Demenz.“Der Satz stammt von dem Münchner Professor Hans Förstl und bildet den Ausgangspu­nkt und Antrieb für die Arbeit von Sonntag und einem gut 20-köpfigen Team am Deutschen Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligen­z (DFKI). Wie relevant die Forschung auf dem Uni-Campus in Saar- brücken ist, zeigen aktuelle Zahlen zur „Pest des 21. Jahrhunder­ts“. Alle vier Sekunden erhält irgendwo auf der Welt ein Mensch die Diagnose Demenz. Allein in Deutschlan­d gibt es nach Angaben von Andreas Sauder, Leiter der Landesfach­stelle Demenz, schon jetzt 1,5 Millionen Betroffene, im Saarland rund 25 000. Bis zum Jahr 2050 würden sich die Zahlen verdoppeln, sagt Sauder, der Demenz als „Hirnleistu­ngsstörung“definiert. Eine Vielzahl von Erkrankung­en könnten diese Störung auslösen: „Die häufigste ist die AlzheimerK­rankheit. Sie macht etwa 65 Prozent der Fälle aus.“Am DFKI will man einen Beitrag dazu leisten, Menschen das Leben mit Demenz so gut es geht zu erleichter­n: Nicht mit Medikament­en, sondern mit modernster Technik, versteckt in Armbanduhr­en, Spezialbri­llen

Gruppenbil­d mit Roboter: Projektlei­ter Daniel Sonntag (sitzend) und einige Mitglieder seines Teams am DFKI.

oder dem Roboter Nao. Senioren mit beginnende­r Demenz sollen mit solchen und weiteren „intelligen­ten Objekten“länger selbststän­dig leben und beispielsw­eise in der eigenen Wohnung bleiben können. Sonntag spricht von einer „Innovation im Dienste der alternden Gesellscha­ft“. Es geht um eine Art vierte Dimension: Wer nicht gehen kann, dem hilft ein Rollstuhl, wer schlecht ein Hörgerät, wer schlecht sieht, eine Brille. Sonntag und sein Team arbeiten jetzt an Hilfsmitte­ln für das Gehirn, an künstliche­n Denksystem­en, an einem „externen Gedächtnis“. Seit gut anderthalb Jahren läuft das Projekt, das Techniken entwickeln will, die „hoffentlic­h in 25 Jahren produktrei­f sind“.

Wie diese Zukunft aussehen könnte, zeigt ein jüngst auf einer Fachkonfer­enz in Buenos Aires prämierter Zeichentri­ckfilm, der in Kooperatio­n mit der Saarbrücke­r Hochschule für Bildende Künste entstanden ist. Hauptdarst­eller sind ein Demenz-Pa-

hört, tient und der Roboter Nao als Mediator, als „Helferlein“, wie Sonntag in Anspielung an den Assistente­n der Comicfigur Daniel Düsentrieb sagt. Patient und Roboter verstehen sich im wahrsten Sinne gut, denn sie kommunizie­ren multimodal, also über Sprache, aber auch Schrift sowie Zeige- und Blickgeste­n. Dazu kommen bereits gängige Verfahren wie Blickerfas­sung und Gesichtser­kennung sowie die noch unausgesch­öpften Möglichkei­ten, die sich hinter dem Schlagwort „Mixed Reality“verbergen – einer durch virtuelle Informatio­nen erweiterte­n Realität. In Kombinatio­n und ohne Kinderkran­kheiten sorgt das in dem Trickfilm dafür, dass Nao weiß, wo der Patient seine Pillen hat liegen lassen; dass er ihn regelmäßig und hartnäckig daran erinnert, etwas zu trinken; oder dass Nao dem Patienten eine Whatsapp-Nachricht vorlesen oder in der Spezialbri­lle anzeigen lassen kann.

In einem weiteren Szenario wird der neue Freund der Toch-

Daniel Sonntag über das Ziel des Demenz-Projekts

ter mittels Gesichtser­kennung in einer Datenbank gespeicher­t. Dank Datenbank und Brille kann sich der Patient Erlebtes später wieder vor Augen führen und zugleich sein Gedächtnis trainieren. „Es geht darum, das Denkvermög­en zu stabilisie­ren“, erklärt Sonntag: „Von einem individuel­len Training, das die ganz persönlich­en Erlebnisse des Patienten berücksich­tigt, erhoffen wir uns dabei sehr viel.“

Was die künstliche Intelligen­z betrifft, will Sonntag keine falschen Hoffnungen bei Demenz im fortgeschr­ittenen Stadium wecken. Vielmehr soll erreicht werden, dass Menschen trotz der heimtückis­chen Krankheit so lange wie möglich allein zurechtkom­men. Die große Herausford­erung dabei: „Wir müssen die Technik in ein sehr sensitives Umfeld integriere­n. Wir müssen dabei sehr vorsichtig sein.“Heißt: Die Patienten nicht überforder­n, weder technisch noch finanziell noch emotional. Wer Brille, Uhr, Roboter oder andere „Accessoire­s“(Sonntag) wie einen digitalen Schreibsti­ft nutzt, soll sich nicht groß mit der Technik auseinande­rsetzen und keine Umbauten in der Wohnung vornehmen müssen; ohnehin soll alles auch mobil funktionie­ren. „Der gewohnte Alltag soll so normal wie möglich weitergefü­hrt werden können“, sagt Sonntag. Das sei angesichts der steigenden Patientenz­ahlen auch eine gesamtgese­llschaftli­che Kostenfrag­e. Dazu kommt eine sehr persönlich­e Perspektiv­e: „Für viele kann es ein großer Vorteil sein, sich nicht als krank outen zu müssen und sich so ihre Privatsphä­re zu erhalten.“

Dass viele Menschen offen sind für auch noch deutlich weitergehe­nde Hilfen in diesem Bereich, hat im Juli eine Umfrage im Auftrag des Bundesfors­chungsmini­steriums gezeigt. Mehr als die Hälfte der Bundesbürg­er hält es für denkbar, sich zur Steigerung der geistigen Fähigkeite­n Implantant­e einpflanze­n zu lassen. Ein Viertel der Bevölkerun­g gab außerdem an, sich vorstellen zu können, von einem Roboter gepflegt zu werden. Moderne Technologi­en im Gesundheit­s- und Pflegebere­ich sind eines der großen Zukunftsth­emen, nicht ohne Grund sind Firmen wie Google, IBM und Siemens auf die DFKI-Forschung aufmerksam geworden, auch mit der Berliner Charité ist eine weitere Zusammenar­beit geplant. Daneben wird Sonntag sein Projekt in den kommenden Wochen in Osaka und Washington vorstellen. Er und sein Team scheinen auf einem interessan­ten Weg, auch wenn Sonntag sagt: „Es ist oft ein schmaler Grat zwischen einfach und unmöglich.“

 ??  ?? Der intelligen­te Roboter Nao, knapp 60 Zentimeter groß, könnte in einigen Jahren Demenz-Patienten das Leben erleichter­n. Er kann sprechen, Gesichter erkennen und vieles mehr. Der heutige Welt-Alzheimert­ag soll auf die heimtückis­che Krankheit aufmerksam...
Der intelligen­te Roboter Nao, knapp 60 Zentimeter groß, könnte in einigen Jahren Demenz-Patienten das Leben erleichter­n. Er kann sprechen, Gesichter erkennen und vieles mehr. Der heutige Welt-Alzheimert­ag soll auf die heimtückis­che Krankheit aufmerksam...
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FOTOS: OLIVER DIETZE

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