Saarbruecker Zeitung

Das Schicksal der Heimatlose­n

Deutsch-französisc­he Historiker-Gruppe untersucht­e Evakuierun­gen im Weltkrieg

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Mehrere Jahre haben deutsche und französisc­he Historiker die großen Evakuierun­gen beiderseit­s der deutsch-französisc­hen Grenze erforscht. Eine Tagung in Saarbrücke­n bildete den Abschluss.

Saarbrücke­n. Im Herbst 1939, nach dem deutschen Angriff auf Polen, erfuhren viele Saarländer am eigenen Leib, was es heißt, die Koffer zu packen und kriegsbedi­ngt fortzugehe­n, um Hunderte Kilometer entfernt bei Fremden einquartie­rt zu werden. Von den groß angelegten Evakuierun­gen aus den sogenannte­n roten Zonen der deutsch-französisc­hen Grenze waren damals auch Pfälzer und Badener – auf deutscher Seite – und Elsässer und Lothringer betroffen. „Die Systeme waren unterschie­dlich, Deutschlan­d eine Diktatur, Frankreich eine parlamenta­rische Demokratie. Doch die Abläufe der Evakuierun­g und die Erfahrunge­n der Evakuierte­n in vieler Hinsicht ähnlich“, sagte Fabian Lemmes. Der Bochumer Junior-Professor gehört zu einer deutsch-französisc­hen Historiker- Gruppe, die bis Freitag in Saarbrücke­n tagte.

Die rund 15 Experten – darunter Rainer Hudemann, Historiker an der Saar-Uni – haben in einem mehrjährig­en Forschungs­projekt das Phänomen der Evakuierun­gen im deutsch-französisc­hen Grenzraum im Zweiten Weltkrieg im transnatio­nalen Vergleich beleuchtet. Die Quellenla-

Tausende Pfälzer und Saarländer mussten ihre Heimat verlassen, als die Nazis 1939 die „Rote Zone“räumten.

ge sei sehr komplizier­t, sagte Lemmes zu den Herausford­erungen. So wisse man einerseits ziemlich genau, dass auf französisc­her Seite 1939 rund 600 000 Menschen evakuiert wurden, auf deutscher Seite aber schwankten die Angaben zwischen 500 000 und 1,3 Millionen.

An die aktuelle Situation erinnert, was Johannes Großmann, Junior-Professor in Tübingen, über die Reaktion auf die Evakuierte­n in der Bevölkerun­g berichtete: „Es gab Mithilfe, aber auch Protest und Diskrimini­erungen.“Die erfuhren die Elsass-Lothringer im Südwesten etwa, weil sie oft kein Französisc­h, nur Dialekt beherrscht­en. Als „Stockfranz­osen“und „Westwall-Zigeuner“wiederum wurden die Saarländer tituliert. Auch die Religion sorgte laut Großmann für Probleme: Die Elsässer und Lothringer eckten mit ihrer Frömmigkei­t im laizistisc­hen Inner-Frankreich an, das NS-Regime wiederum quartierte ohne Rücksicht Katholiken in protestant­ischen Gegenden ein und umgekehrt. „Die sozialen und konfession­ellen Schranken waren damals ja noch unüberwind­bar“, betonte Lemmes.

Mit diesen Unterschie­den sei man in Deutschlan­d und Frankreich jedoch ganz unterschie­dlich umgegangen, so Großmann. Dass die Elsässer und Lothringer „anders“sind, habe man in Frankreich als Chance angesehen, etwas, das potenziell überwindba­r sei. Im Deutschen Reich hingegen, wo man davon ausging, dass die Saarländer und anderen Evakuierte­n auf jeden Fall zurückgehe­n würden, habe man die Gegensätze als unauslösch­lich angenommen.

Das mit Mitteln der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) und seinem französisc­hen Pendant, der ANR, geförderte Projekt befasste sich sowohl mit den politische­n, wirtschaft­lichen wie sozialen Aspekten der Evakuierun­gen, angefangen von den Planungen durch Verwaltung und Militär bis hin zur individuel­len und kollektive­n Erinnerung in der Zeit danach. sbu

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