Saarbruecker Zeitung

Wie heißt das Zauberwort?

Seinen Mitmensche­n zu helfen, ist löblich. Wenn jedoch gefordert statt gebeten wird, hört für SZ-Mitarbeite­r Brian Erbe die Selbstlosi­gkeit auf.

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Stadtbewoh­ner sorgen sich nicht um ihre Nächsten. Sie sind kaltherzig und egoistisch. Das denken sicher viele, vor allem Außenstehe­nde, auch ich. Umso mehr staune ich, wenn ich in Saarbrücke­n unterwegs bin. Hier zeigt ein Einheimisc­her ei- nem Fremden den Weg zur Ludwigskir­che, dort erläutert ein anderer der schwerhöri­gen Seniorin neben sich in bewunderns­werter Geduld den Busfahrpla­n. Gehbehinde­rten Menschen über die Straße oder in Verkehrsmi­ttel zu helfen, scheint hier zum guten Ton der Städter zu gehören.

Doch wie schon Goethe sagte: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“. Auch in Saarbrücke­n finden sich einige schwarze Schafe. Nicht mehr aus dem Kopf geht mir beispielsw­eise ein Erlebnis am Hauptbahnh­of. Eine Frau mit offenkundi­gen Gehproblem­en wollte aus dem Zug aussteigen. Hätte sie dabei um Hilfe gebeten, wären sicher viele Passagiere gerne zu Diensten gewesen. Sie schwieg stattdesse­n und begann dann die Umstehende­n wegen ihrer Tatenlosig­keit als Unmenschen zu beschimpfe­n. Von allen Seiten hagelte es daraufhin Kritik. Und plötzlich wurde aus einer wütenden Furie eine beschämt dreinblick­ende Büßerin. Das war ganz in meinem Sinn. Schließlic­h soll Selbstlosi­gkeit nicht zu vorauseile­ndem Gehorsam werden. Wenn Hilfsbedür­ftigkeit zum Freifahrts­schein für Beschimpfu­ngen verkommt, dürften Alltagshel­den schnell das Handtuch werfen. Und mit ihnen würde auch ein Stück Saarbrücke­r Lebensqual­ität verschwind­en.

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