Tsipras kam, taktierte und siegte
Syriza gewinnt Parlamentswahl – Neuauflage von Links-Rechts-Bündnis – Harte Steuerreformen im Herbst
Trotz klammer Staatskassen, Ärger mit den Geldgebern und parteiinterner Turbulenzen hat Alexis Tsipras einen klaren Wahlsieg erzielt. Auch seine Regierung nimmt rasch Formen an. Die Geldgeber pochen ohne Umschweife auf rasche Reformen.
Athen/Brüssel. Die „Ära Tsipras“hat begonnen. So titelt am Montag die Traditionszeitung der politischen Mitte „Ta Nea“. In Athen herrscht Verblüffung am Morgen nach der Parlamentswahl: Tagelang sagten Demoskopen ein Kopf-an-KopfRennen zwischen dem Linkspolitiker Alexis Tsipras und seinem konservativen Rivalen Evangelos Meimarakis voraus. Und was geschah? Tsipras gewann mit über sieben Prozentpunkten Vorsprung vor Meimarakis und der Partei Nea Dimokratia (ND).
Tsipras hat seine wichtigsten Ziele erreicht. Er hat den ehemaligen Linksflügel seiner Partei Syriza, der sich von ihr abspaltete, politisch „plattgetreten“, wie es in einem Radiokommentar hieß. Der neu gegründete Syriza-Konkurrent schaffte es nicht einmal über die Drei-Prozent-Hürde und wird im neuen Parlament keinen Sitz haben.
Tsipras’ zweiter Erfolg: Er war einen Schritt schneller als seine Gegner, indem er das neue Sparprogramm unterzeichnete und mit seinem Rücktritt vorgezogene Wahlen zum richtigen Zeitpunkt provozierte. Die Griechen stimmten am Sonntag nämlich ab, bevor sie die harten Folgen des Sparprogramms voll zu spüren bekommen, das Tsipras – entgegen seiner Wahlversprechen – im August unterzeichnete. Der wahre „Steuer- und Kürzungs-Tsunami“werde erst im Oktober kommen, heißt es.
Tsipras macht keinen Hehl daraus, dass er weiß, was die Stunde geschlagen hat. „Zauberlö- sungen gibt es nicht“, meint er angesichts der zwölf Milliarden Euro schweren Einsparungen in Form von Rentenkürzungen, Lohnsenkungen und neuen Steuern, die auf die Griechen zukommen. Der Linkspolitiker kann nicht auf eine Schonzeit seiner europäischen Geldgeber setzen. Schon im Oktober werden sich EU-Finanzexperten wieder nach Athen aufmachen, um die Bücher zu kontrollieren. Tsipras hatte als Ministerpräsident das dritte Hilfspaket von bis zu 86 Milliarden Euro mit ausgehandelt. Nun muss er Ergebnisse liefern, beispielsweise bei der Pensionsreform.
Ohne eine erfolgreiche Prüfung des Zwischenstands im Oktober werden die Europartner es ablehnen, über von Tsipras er- wünschte Schuldenerleichterungen zu sprechen. Dabei geht es nicht um einen klassischen Schuldenschnitt, sondern beispielsweise um verlängerte Kreditlaufzeiten, niedrigere Zinsen oder eine Verzögerung des Rückzahlungsbeginns. Tsipras, der bereits gestern seinen Amtseid als griechischer Regierungschef abgelegt hat, will einige Reformauflagen abmildern. Zum Beispiel will er eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent für Privatschulen und Nachhilfeunterricht austauschen gegen eine Verteuerung von Tabakwaren.
Warum Tsipras wieder deut- lich gewinnen konnte? „Ganz einfach. Weil wir die Vetternwirtschaft satt sind. Wir können die Gesichter dieser Typen (der Konservativen und Sozialisten) nicht mehr sehen“, sagt Stelios Katrivanos, ein Lehrer aus Thessaloniki. „Wir sind so wütend, selbst wenn Tsipras gar nichts macht, werden wir die alten etablierten Parteien nicht wieder wählen.“
Tsipras hat in diesem Jahr viel taktiert. Nach der Wahl im Januar bildete er eine „unheilige“Koalitionsregierung mit den Rechtspopulisten, die er jetzt fortsetzt. Der 41-Jährige verhandelte monatelang mit den Geldgebern, zögerte alle Entscheidungen hinaus und überzog Fristen in der Hoffnung, die Gläubiger würden ihm entgegenkommen. Als die Geldgeber auf ihren harten Sparforderungen beharrten, setzte Tsipras ein Referendum an. Die Griechen sagten „Nein“. Dann folgte die spektakuläre Kehrtwende: Tsipras stimmte einem noch härteren Sparprogramm zu. Als der linke Syriza-Flügel rebellierte, trat er zurück und provozierte so Wahlen.
Die schmerzhaften Ausgabenkürzungen und Reformen hatten auch eine andere Auswirkung: Die rechtsextremistische und ausländerfeindliche Goldene Morgenröte wurde erneut drittstärkste Kraft mit rund sieben Prozent.