Putin zeigt Erdogan in Syrien die Grenzen auf
Moskaus Hilfe für Assad steht Ankaras Regionalmacht-Streben im Weg
Ankara. Das verstärkte militärische Engagement Russlands im Syrien-Konflikt beschäftigt viele Länder in der Region und im Westen – ganz besonders laut schrillen die Alarmglocken in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan will heute in Moskau mit Wladimir Putin über das Thema Syrien reden, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war schon da.
Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, hat sich Russland als Großmacht in Nahost zurückgemeldet. Lange hatte sich Russlands Unterstützung für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf das Feld der Politik konzentriert, etwa im UN-Sicherheitsrat. Doch in jüngster Zeit gefährdet eine Serie militärischer Rückschläge den Machterhalt Assads, der Moskau zu seinen wichtigsten Verbündeten zählt.
Hinter der russischen Machtdemonstration steht ein geopolitisches Kalkül, meint Jeffrey White, ein Militärexperte an der US-Denkfabrik Washington Institute. „Offenbar ist Russland entschlossen, seinen Einfluss im Nahen Osten zur Geltung zu bringen, und Syrien bietet eine Gelegenheit dazu.“Die russischen Kampfjets werden sich nach seiner Einschätzung nicht unbedingt auf die Verteidigung syrischer Regierungstruppen beschränken. Auch offensive Einsätze seien möglich.
Putin nutzt die Unschlüssigkeit westlicher Staaten. Die USA und ihre Verbündeten bekämpfen zwar den Islamischen Staat in Syrien, scheuen aber davor zurück, gegen Assad vorzugehen, obwohl dem syrischen Präsidenten die Hauptschuld am Tod von mehr als 200 000 Menschen seit Beginn des Konfliktes in Syrien im Frühjahr 2011 gegeben wird.
Den Einsatz eigener Soldaten in Syrien schließen westliche Staaten dennoch aus. Mit einer Unterstützung für Assad- Gegner hält sich der Westen ebenfalls zurück, weil er befürchtet, moderne Waffen könnten in die Hände islamischer Extremisten geraten.
Dagegen hatte Putin in den vergangenen Wochen die Lieferung von Waffen an Assads Regierung verstärkt und zusätzliche Militärberater nach Syrien geschickt. Russland hat nach US-Angaben inzwischen 28 Kampfflugzeuge und rund 20 Kampf- und Transporthubschrauber sowie Droh- nen in Syrien stationiert. Während westliche Staaten vor einer Eskalation des Konflikts durch die aktivere Rolle Russlands warnen, sorgt sich Israel um eine mögliche direkte Konfrontation zwischen der eigenen Luftwaffe und den russischen Kampfflugzeugen über Syrien.
Auch die Türkei sieht wichtige Interessen bedroht. So dürfte die Einrichtung der von Ankara geforderten Pufferzone in Nord-Syrien in weite Ferne rücken, wenn Russland in den Krieg beim Nachbarn eingreift: Putins Luftwaffe wird es nicht zulassen, dass Amerikaner und Türken auf syrischem Territorium ohne UN-Beschluss eine eigene „Schutzzone“errichten. Noch vor wenigen Wochen hatte Erdogan nach einem Treffen mit Putin gesagt, der russische Präsident stehe nicht mehr hundertprozentig hinter Assad und werde den syrischen Verbündeten möglicherweise „fallen lassen“. Angesichts des russischen Vorgehens sagte der türkische Präsident kürzlich, er sei „geschockt“.
Allerdings hat die Türkei kaum Druckmittel, um auf Russland einzuwirken. Die Entwicklung zeigt, wie sehr türkische Regionalmachtsansprüche und die harte politische Realität im Nahen Osten auseinanderklaffen.