Saarbruecker Zeitung

Putin zeigt Erdogan in Syrien die Grenzen auf

Moskaus Hilfe für Assad steht Ankaras Regionalma­cht-Streben im Weg

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Ankara. Das verstärkte militärisc­he Engagement Russlands im Syrien-Konflikt beschäftig­t viele Länder in der Region und im Westen – ganz besonders laut schrillen die Alarmglock­en in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan will heute in Moskau mit Wladimir Putin über das Thema Syrien reden, der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu war schon da.

Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, hat sich Russland als Großmacht in Nahost zurückgeme­ldet. Lange hatte sich Russlands Unterstütz­ung für den syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad auf das Feld der Politik konzentrie­rt, etwa im UN-Sicherheit­srat. Doch in jüngster Zeit gefährdet eine Serie militärisc­her Rückschläg­e den Machterhal­t Assads, der Moskau zu seinen wichtigste­n Verbündete­n zählt.

Hinter der russischen Machtdemon­stration steht ein geopolitis­ches Kalkül, meint Jeffrey White, ein Militärexp­erte an der US-Denkfabrik Washington Institute. „Offenbar ist Russland entschloss­en, seinen Einfluss im Nahen Osten zur Geltung zu bringen, und Syrien bietet eine Gelegenhei­t dazu.“Die russischen Kampfjets werden sich nach seiner Einschätzu­ng nicht unbedingt auf die Verteidigu­ng syrischer Regierungs­truppen beschränke­n. Auch offensive Einsätze seien möglich.

Putin nutzt die Unschlüssi­gkeit westlicher Staaten. Die USA und ihre Verbündete­n bekämpfen zwar den Islamische­n Staat in Syrien, scheuen aber davor zurück, gegen Assad vorzugehen, obwohl dem syrischen Präsidente­n die Hauptschul­d am Tod von mehr als 200 000 Menschen seit Beginn des Konfliktes in Syrien im Frühjahr 2011 gegeben wird.

Den Einsatz eigener Soldaten in Syrien schließen westliche Staaten dennoch aus. Mit einer Unterstütz­ung für Assad- Gegner hält sich der Westen ebenfalls zurück, weil er befürchtet, moderne Waffen könnten in die Hände islamische­r Extremiste­n geraten.

Dagegen hatte Putin in den vergangene­n Wochen die Lieferung von Waffen an Assads Regierung verstärkt und zusätzlich­e Militärber­ater nach Syrien geschickt. Russland hat nach US-Angaben inzwischen 28 Kampfflugz­euge und rund 20 Kampf- und Transporth­ubschraube­r sowie Droh- nen in Syrien stationier­t. Während westliche Staaten vor einer Eskalation des Konflikts durch die aktivere Rolle Russlands warnen, sorgt sich Israel um eine mögliche direkte Konfrontat­ion zwischen der eigenen Luftwaffe und den russischen Kampfflugz­eugen über Syrien.

Auch die Türkei sieht wichtige Interessen bedroht. So dürfte die Einrichtun­g der von Ankara geforderte­n Pufferzone in Nord-Syrien in weite Ferne rücken, wenn Russland in den Krieg beim Nachbarn eingreift: Putins Luftwaffe wird es nicht zulassen, dass Amerikaner und Türken auf syrischem Territoriu­m ohne UN-Beschluss eine eigene „Schutzzone“errichten. Noch vor wenigen Wochen hatte Erdogan nach einem Treffen mit Putin gesagt, der russische Präsident stehe nicht mehr hundertpro­zentig hinter Assad und werde den syrischen Verbündete­n möglicherw­eise „fallen lassen“. Angesichts des russischen Vorgehens sagte der türkische Präsident kürzlich, er sei „geschockt“.

Allerdings hat die Türkei kaum Druckmitte­l, um auf Russland einzuwirke­n. Die Entwicklun­g zeigt, wie sehr türkische Regionalma­chtsansprü­che und die harte politische Realität im Nahen Osten auseinande­rklaffen.

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