Deutschland wird erstmals entlastet
EU-Mitgliedstaaten beschließen Verteilung von Flüchtlingen auf 21 Länder
Paukenschlag in Brüssel: Entgegen allen Prognosen haben die EU-Innenminister nun doch über eine Verteilung von Asylsuchenden entschieden – mit der Brechstange. Denn vier osteuropäische Staaten stellen sich quer.
Brüssel. Wochenlang haben die Deutschen Flüchtlinge aufgenommen, betreut und mit Hilfe zahlreicher Helfer versorgt. Nun kommt ein erstes Signal der Entlastung. In Brüssel verständigten sich die Innenminister der 28 EU-Staaten gestern nicht nur auf die Verteilung von 66 000 Menschen aus italienischen und griechischen Auffang-Lagern. Darüber hinaus sollen auch 54 000 Asylbewerber, die in andere EU-Staaten eingereist sind, an andere Länder abgegeben werden.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte nach dem Treffen: „Wir haben ein Ergebnis. Und das ist gut für Deutschland.“Zunächst werde die Bundesrepublik „aus Solidarität und Verantwortung“weitere 30 000 Menschen aufnehmen und damit ihr Kontingent bei der Verteilung tragen. Allerdings bedeute die nun beschlossene Neuregelung, dass nur noch 26 Prozent der Schutzbedürftigen aus diesen Regionen nach Deutschland kämen. „Derzeit sind es 50 Prozent.“
Der Beschluss kam erst nach heftigem Ringen der Minister zustande, die sich bei einem ersten Krisentreffen vor gut einer Woche zunächst ergebnislos vertagt hatten. Auch dieses Mal blieben die vier EU-Mitglieder Tschechien, Slowakei, Rumänien und Ungarn (Polen hatte sich zuvor umstimmen lassen) bei ihrer strikten Ablehnung, wurden aber von der großen Mehrheit überstimmt. Großbritannien, Irland und Dänemark nehmen am EU-Asylsystem ohnehin nicht teil, so dass sich nunmehr 21 Regierungen freiwillig bereiterklärten, insgesamt 160 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Die Verteilung von 40 000 Kriegsopfern war schon zuvor vereinbart worden.
Zu den „wegweisenden Entscheidungen dieses Treffens“(de Maizière) gehören auch Schritte gegen die sogenannte Sekundär-Immigration. Demnach dürfen sich die Asylbewerber nicht gegen die Zuteilung auf bestimmte Länder wehren. Man werde, so hieß es am Abend in Brüssel, zwar auf familiäre Bindungen und bestehende Kontakte zu Freunden achten. Ein Flüchtling, der sich aber gegen seine Zuteilung wehrt, soll sofort zurückgeschickt werden. Die Mitgliedstaaten verständigten sich darauf, in diesem Fall Asylbewerber auch wieder „zurückzunehmen“. Strafen für nicht-aufnahmewillige Staaten, wie sie zunächst diskutiert worden waren, sind allerdings vom Tisch.
Doch wirklich zufrieden sind die Innenminister noch nicht. „Wir brauchen jetzt auch Maßnahmen, um einen weiteren Zustrom zu stoppen“, erklärte de Maizière in Brüssel. In diesem Zusammenhang fallen vor allem zwei Stichworte: Da sind zum einen die sogenannten Hot-Spots, jene von der EU eingerichteten Aufnahmezentren an den Außengrenzen, in denen die ankommenden Asylbewerber registriert, möglicherweise auch schon jene aus sicheren Drittstaaten aussortiert und zurückgeschickt, alle anderen aber aufgeteilt werden sollen. Und da sind zum anderen Milliardenhilfen für die Menschen, die bisher noch in den türki- schen, libanesischen und jordanischen Auffanglagern leben.
Noch bevor die Staats- und Regierungschefs der 28 EULänder am heutigen Mittwochabend nach Brüssel kommen, will die Kommission eine Milliarde Euro an Direkthilfen für die Türkei beschließen. 1,8 Milliarden für afrikanische Küstenstaaten wurden erst vor wenigen Tagen vom EU-Parlament gebilligt. Die Staatenlen-
MEINUNG
Deutschland hat viel für die Flüchtlinge getan. Auf eigene Faust. Und nicht ohne scharfen Gegenwind aus den Reihen der Regierung selbst und den Mitgliedstaaten. Nun gibt es das erste Signal der Entlastung. Doch auch wenn der EU-Beschluss zur Aufteilung der Asylbewerber einen Fortschritt bedeutet, ein Ende der Herausforderung ist er nicht. Denn das, was wir so verharmlosend Zuwanderung nennen, ker drängen auf weitere Schritte, um zu verhindern, dass die Kriegsopfer in den Lagern rund um Syrien und Eritrea sich ebenfalls Richtung Europa aufmachen. Doch zunächst müssen sich Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen am heutigen Mittwoch noch einmal mit dem gestrigen Beschluss ihrer Innenressortchefs befassen. „Es wird eine harte Sitzung, ein hartes Treffen“, sagte de Maizière.