Saar-Kommunen: Berliner Flüchtlingshilfe zu gering
Städtetag-Chef: 670 Euro Pauschale „kein Grund zum Jubeln“
Während die Landesregierung ihre Erwartungen erfüllt sieht, kritisiert der saarländische Städte- und Gemeindetag in Teilen die Ergebnisse des Berliner Flüchtlings-Gipfels. Das zugesagte Geld reiche nicht aus. Saarbrücken. Die Saar-Politik hat erleichtert auf die Beschlüsse des Berliner Flüchtlingsgipfels reagiert. Aus den Kommunen kam aber auch Kritik. Am Donnerstagabend hatten sich Bund und Länder auf eine Kostenteilung verständigt und ein umfangreiches Gesetzespaket vereinbart.
Der Bund stockt seine Flüchtlingshilfe für die Länder demnach auf gut zwei Milliarden Euro in diesem und vier Milliarden im kommenden Jahr auf. Zudem sollen Asylverfahren verkürzt und die Integ- ration verbessert werden. Klaus Lorig, Präsident des saarländischen Städte- und Gemeindetages (SSGT), betrachtet die Ergebnisse „sehr ambivalent“, wie er gestern der SZ sagte. „Auf der einen Seite sind wir froh, dass es jetzt überhaupt einen Kompromiss gibt, der letztlich eine gewisse Struktur in das ganze Thema reinbringt.“Andererseits seien die vereinbarten 670 Euro Kopfpauschale im Monat, die der Bund pro Asylbewerber während dessen laufendem Verfahren zahlt, „kein Grund zum Jubeln“. Das sei nicht, „was uns zufrieden stellt“. 1100 bis 1300 Euro wären nach Lorigs Ansicht „eher passend gewesen“. Er kritisierte vor allem, dass die Folgekosten nach der Asylgewährung nicht berücksichtigt seien. Zudem sei unklar, wie viel Geld überhaupt in den Kommunen ankomme. Eine Antwort soll der „Saar- Gipfel“in der kommenden Woche geben. Zu dem hat Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) alle Bürgermeister und Landräte eingeladen. „Da erhoffen wir uns Klarheit, wie die Gelder verteilt werden“, so Lorig. Dem Saarland fließen 2015 zusätzliche 11,8 Millionen Euro aus der Umsatzsteuer zu – daraus speist sich die Kopfpauschale. 2016 gibt es hierfür dann 43 Millionen Euro. Für den Sozialen Wohnungsbau fließen jährlich zusätzlich 6,3 Millionen.
Kramp-Karrenbauer lobte die Ergebnisse des Berliner Gipfels als ein „wichtiges Signal“, das zeige, dass „die Verantwortungsgemeinschaft aus Bund und Ländern“funktioniere.
Die beschwichtigenden Presseerklärungen folgten schon am nächsten Tag. Doch so leicht lässt sich der Riss zwischen der Kanzlerin und ihrem Vertrauten Thomas de Maizière nach dessen öffentlicher Kritik vermutlich nicht kitten.
Berlin. Mit der demonstrativen Bemerkung, sie möchte „unserem Innenminister ganz herzlich danken“, sorgte Angela Merkel am Donnerstag im Bundestag dafür, dass der angeschlagene Thomas de Maizière Sonderbeifall der Unionsabgeordneten bekam. Doch Undank ist der Welten Lohn. Die Kanzlerin saß im Flugzeug Richtung New York, als de Maizière am Abend in einer Fernsehtalkshow gefragt wurde, ob ihm die Flüchtlingssituation nicht außer Kontrolle geraten sei. „Es ist nicht außer Kontrolle geraten“, antwortete er. „Außer Kontrolle geraten ist es mit der Entscheidung, dass man aus Ungarn die Menschen nach Deutschland holt. Wir sind jetzt dabei, die Dinge wieder etwas zu ordnen.“Er meine die Entscheidung, die Merkel am 4. September traf.
Der Auftritt war so brisant, dass die Kanzlerin über den Atlantik hinweg gleich am nächsten Morgen eine Sprachregelung ausgab. „Sie empfindet diese Äußerungen nicht als Kritik“, teilte ein Regierungssprecher in Berlin mit, und de Maizières Sprecher beeilte sich zu erklären: „Der Minister wollte niemanden kritisieren.“
Zwischen Absicht und Wirkung liegen aber mitunter Welten. Für die Kanzlerin ist die Stimmung in der Flüchtlingsfrage inzwischen äußerst brenzlig, und de Maizière weiß das. Das gilt nicht nur für die CSU, deren Chef Horst Seehofer die Ungarn-Entscheidung öffentlich als „falsch“bezeichnet, sondern auch für die CDU. Erst am Dienstag gab es in der UnionsBundestagsfraktion eine über dreistündige, ungewöhnlich kritische Debatte. Merkels Entscheidung stand im Feuer, aber auch die geplante Gesundheitskarte, die Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen und ihr Satz, dass es für Asylbewerber keine Obergrenze gebe. Merkel intervenierte mehrfach, was sie sonst sehr selten macht. GöttinnenDämmerung? Auch in den Umfragen ist die Kanzlerin abgerutscht, im ZDF-Politbarometer liegt sie nur noch auf Platz Vier.
Bisher galt der 61-jährige de Maizière als absolut loyal. Das machte seine starke Stellung aus, er war lange die Nummer Zwei im Kabinett. In Merkels erster Kanzlerschaft hielt er ihr als Kanzleramtsminister den Rücken frei. Als sie ihm 2013 das geliebte Verteidigungsministerium wegnahm, um damit Ursula von der Leyen zu versorgen, schluckte er das klaglos. Doch jetzt scheint die Loyalität an Grenzen zu kommen. Der Innenminister stand wochenlang unter massiver Kritik der Länder, auch der CDU-regierten, weil er den Flüchtlingsstrom nicht vorausgesehen hatte und die ihm unterstehende Asylbehörde nicht flott bekam. Merkel verteidigte ihn nicht, sondern erweckte stattdessen den Eindruck, erst seit sie die Sache an sich gezogen habe, laufe es. De Maizières Worte im Fernsehen dürften vom Frust darüber getrieben gewesen sein und auch von dem Bewusstsein, mit der Kritik nicht allein dazustehen.
Vor kurzem erst sprach de Maizière zudem davon, Europa solle nur noch gewisse Kontingente von Asylbewerbern aufnehmen. Auch warnte er lange vor den Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer, dass sie nur Schlepper ermunterten. All das ist nicht Merkel-Linie. Dieser Riss zwischen der Kanzlerin und ihrem Minister dürfte mit eiligen Presseerklärungen langfristig kaum zu kitten sein.
„Wir sind jetzt dabei, die Dinge wieder etwas zu ordnen.“Innenminister Thomas de Maizière