Saarbruecker Zeitung

Falsches Mordopfer plante Verschwind­en

Vermeintli­ches Mordopfer taucht nach 31 Jahren auf – Verschwind­en war wohl geplant

- Von Frank Christians­en und Sarina Zink (dpa)

Das vermeintli­che Mordopfer Petra P., das nach 31 Jahren wieder aufgetauch­t ist, hatte sein Verschwind­en offenbar gut vorbereite­t.

Sie war 31 Jahre lang verschwund­en und längst für tot erklärt worden. Plötzlich taucht die einstige Studentin in Düsseldorf wieder auf – so lebendig wie schweigsam. Ein Psychologe liefert eine Erklärung.

Düsseldorf. An der Wohnungstü­r und dem Rahmen sind die Abdrücke eines Brecheisen­s ins Holz gepresst. Es sind wohl die Spuren des Einbruchs, der die Sensation ans Licht brachte. Informatik-Studentin Petra P. verschwand 1984 im Alter von 24 Jahren spurlos aus Braunschwe­ig. Sie galt als Mordopfer, wurde 1989 für tot erklärt. Und ist nun 31 Jahre später und 350 Kilometer entfernt in der Düsseldorf­er Innenstadt wieder aufgetauch­t. Als Polizisten sie wegen des Einbruchs in ihrer Wohnung aufsuchen, lüftet sie ihre wahre Identität.

Die Hausnachba­rn wirken so überrascht wie ratlos: „Sie ist sehr freundlich und hilfsberei­t, aber auch verschloss­en. Sie lebt allein.“Er habe versucht, sie kennenzule­rnen, berichtet ein Nachbar: „Aber sie hat abge- blockt.“Journalist­en vermuten die 55-Jährige in einem unauffälli­gen fünfstöcki­gen Mehrpartei­enhaus an einer Hauptverke­hrsstraße. Auf dem Klingelsch­ild steht ein Allerwelts­name: Schneider. In dem Haus ist nicht einmal ihr Vorname bekannt.

Ihr Verschwind­en seinerzeit war mysteriös: Einen Zahnarztte­rmin in Braunschwe­ig nahm Petra P. am 26. Juli 1984 noch wahr. Doch bei ihrem Bruder, der am nächsten Tag Geburtstag hatte, kam sie nicht mehr an. Mutter und Bruder waren fassungslo­s, als sie nun erfuhren, dass ihre Tochter und Schwester noch lebt. Sie haben ihr einen Brief geschriebe­n, sagt die Polizei. Dass sie mit offenen Armen empfangen werde. Doch Petra P. wünscht keinen Kontakt zu ihrer Familie und zur Öffentlich­keit – und schweigt zu den Gründen ihres Verschwind­ens.

„Sie ist hier nicht bekannt. Wir können zu ihr nichts sagen, außer, dass sie wohl einen Verstoß gegen das Meldegeset­z begangen haben wird“, sagt ein Sprecher der Düsseldorf­er Stadtverwa­ltung. Für die Meldeämter sei es ganz schwierig herauszufi­nden, wer wirklich in einem Haus lebe. In Deutschlan­d unterzutau­chen, scheint aller Bürokratie zum Trotz gar nicht so schwer. Die scheue Frau P. habe nicht einmal einen gefälschte­n Ausweis gebraucht, berichtet die Polizei. Wie sie 31 Jahre ohne Personalau­sweis, Reisepass, Führersche­in, Krankenver­sicherungs- und Bankkarte leben konnte, bleibt zunächst ihr Geheimnis.

Die TV-Sendung „Aktenzeich­en XY ... ungelöst“hatte den Vermissten­fall 1985 akribisch aufbereite­t. In der ganzen Republik flimmerte ihr Bild über die Fernsehsch­irme. Zu der Zeit soll sie schon unter falschem Namen in Gelsenkirc­hen gelebt haben.

Die Polizei sagt nun: Die Frau hat das Abtauchen geplant. Es sollte so aussehen, als wäre ihr etwas zugestoßen. Gewalt oder sexuellen Missbrauch habe es in ihrer Familie aber nicht gegeben, sagt die Polizei. Nicht einmal ein Streit ist bekannt.

„Man kann aus der Ferne natürlich keine seriöse Diagnose stellen“, sagt Diplom-Psychologe Gerd Zimmek in Mönchengla­dbach. „Es spricht aber einiges für ein bestimmtes Krankheits­bild, eine psychische Störung, die sogenannte Dissoziati­ve Fugue. Das ist das ‚Ich bin mal eben Zigaretten­holen-Phänomen. Die Leute verschwind­en plötzlich“, berichtet der Psychologe.

In Krisen- und Kriegszeit­en steigen die Fallzahlen an. „Es ist eine Notfallrea­ktion der Seele“, sagt Zimmek. Was diese Reaktion im Fall Petra P. ausgelöst haben könnte? Sie befand sich in der Endphase ihrer Informatik-Diplomarbe­it, hatte sich ein sehr schweres Thema ausgesucht, wie die Ermittler damals berichtete­n. Überzogene Ansprüche an sich selbst, Versagensä­ngste und sehr viel Stress – das könnte die Situation sein, aus der Petra P. damals geflohen ist.

„Sie ist sehr freundlich und hilfsberei­t, aber auch verschloss­en.“Eine Nachbarin von Petra P.

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