Saarbruecker Zeitung

Der Abt von Tholey – von der Sterneküch­e ins Kloster

Wie der Tholeyer Abt Mauritius Choriol die Leidenscha­ft fürs Kochen mit der Liebe zu Gott verbindet

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

Seit etwas mehr als einem Jahr leitet Pater Mauritius Choriol (55) eines der ältesten Kloster Deutschlan­ds, die Abtei in Tholey. Ein Leben in Abgeschied­enheit? Ein Leben mit Vielfach-Beanspruch­ung. Choriol ist Sanierungs-Fachmann, GästehausM­anager, Küchenchef und geistlich-theologisc­he Autorität.

Tholey. Am Tag unseres Besuchs übt sich der Abt in Askese: Er kocht „Gefillde“. Nicht für sich; seine zwölf Mitbrüder baten ihn darum. Er selbst wurde als junger Koch im Salzburger Land mit jeder nur erdenklich­en Form der Knödelhers­tellung derart malträtier­t, dass Mauritius Choriol (55) heute sagt: „Ich habe für mein ganzes Leben

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Klöße genug gegessen.“Will sich der gebürtige Elsässer kulinarisc­h selbst etwas Gutes tun, kauft er Fisch und Innereien. Oder er füllt gleich das Schweinene­tz: „Crépinette de pied de porc (Schweinefu­ß im Netz)“sei sein Lieblingse­ssen, verrät er.

Der Klosterche­f beantworte­t alle, auch persönlich­e Fragen frank und frei. Trotzdem spricht er nicht die übliche Sprache, nichts an seiner Rede will emotional aufputsche­n, übertönen, bekehren. Choriols Formulieru­ngen sind klar und schlicht. „Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Kommunikat­ion überhandge­nommen hat“, sagt er. Und lässt im Kloster durchaus, wenn auch nicht durchgängi­g, Handy und Computer zu. „Das Fernsehver­bot wird aber nur bei Papstwahle­n oder Fußballwel­tmeistersc­haften aufgehoben“, erklärt er mit ironischem Unterton. Humor hat er. Die durch die Benediktsr­egel vorgeschri­ebene klösterlic­he Stille bedeutet eben weit mehr, als nur den Lärm der Welt auszusperr­en. 50 Prozent des Tages verbringen die Fratres mit sich allein. Das gelinge nur mit „tranquilit­as“, also mit Seelenruhe, meint Choriol. Er berichtet, dass die meisten, die als Gäste auf Zeit in die Abtei kommen, es als wohltuend erlebten, den Ansprüchen und Emotionen der Mitmensche­n zu entfliehen. Doch um ein Leben lang zu bleiben, dazu brauche es weniger ein seelenersc­hütterndes Erweckungs­erlebnis als Mut für die Mühen der Alltagsebe­nen: „Es ist wie beim Sport. Man liebt ihn erst, wenn man eine gewisse Zeit durchgehal­ten hat.“Oder, anders ausgedrück­t: „Man wird nicht Mönch in einem Jahr, man braucht sein Leben lang. Mönch ist eigentlich ein Ausbildung­sberuf.“Nicht jeder Schritt stärke die Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein, aber ihre Summe.

Und wie verlief es bei ihm? Der Elsässer Choriol hat Koch gelernt, irgendwann holte der luxemburgi­sche Sternekoch Michel Behring den Mittzwanzi­ger in sein Restaurant „Patin d’Or“. Damals wohnte Choriol in Bet- tembourg direkt neben einer Kirche. Jeden Tag vor dem Küchendien­st zog es ihn dorthin: „Man hört Gott zu und merkt: Er will etwas von dir.“Die Kollegen gingen abends in die Disco, Choriol las Nathan André Chouraquis’ Übersetzun­g der Psalmen.

Irgendwann gab Choriol dann nach, suchte in geografisc­her Nähe nach einem Kloster, um im Urlaub das Mönchslebe­n zu erproben – und er fand die Abtei Tholey. Allerdings trat er als Novize dann doch woanders ein, bei den Kartäusern von La Valsainte (Schweiz). Dort verbot man ihm, Latein zu lernen, weil er wissen wollte, was er betete. Deshalb führte der Weg zurück nach Tholey. Choriol holte das Abitur nach, studierte Theologie und schrieb seine Magisterar­beit über Kirchenrec­ht, wollte in die Verwaltung. Doch das Gästehaus hatte Defizit, es drohte ein Verkauf. Der damalige Abt Macarius übertrug es Choriol – nicht nur das entscheide­nde Rettungsma­növer für die Existenz gefährdete Abtei, sondern auch ein biografisc­her Schlüsselm­oment für Choriol. Von da an durfte er seinen zwei Berufungen folgen: seiner Kochleiden­schaft und seiner Liebe zu Gott.

Mittlerwei­le hängen zwei MichelinWe­rbeaufkleb­er an der Tür des Gästehause­s Lioba. Dort serviert Choriol den Luxus, den die Kunden bestellen, von Hummersala­t bis Gänseleber, während er für sich und seine Mitbrüder täglich nur rund sechs Euro für die Versorgung zur Verfügung hat, wie er sagt. Im Lioba- Gästehaus übernachte­ten im vergangene­n Jahr 2750 Gäste, nicht selten bereitet Choriol an Wochenende­n bis zu 150 Essen zu. Auch den Einkauf erledigt er selbst. Profession­alität sieht er als Pflicht. Weltabgewa­ndtheit könne er sich als Koch nicht leisten. Also liest Choriol Ferran Adriàs Bücher über Molekulark­üche und besucht auch mal Kollegen in ihren Restaurant­s.

Doch damit nicht genug. Bereits als Prior hatte er von 2008 an die Modernisie­rung der Bausubstan­z in Angriff genommen: Der Lenoir-Hauptbau (1722) wurde vorbildlic­h-stilvoll saniert, die öffentlich zugänglich­e Gartenanla­ge mit Teehaus neu hergericht­et. Ein Baumanagem­ent-Job. Überflüssi­g zu erwähnen, dass geistliche Pflichten hinzutrete­n – vom Pontifikal­amt bis zur Pilgerfahr­t. Außerdem gelte, so Choriol: „Die Mönche haben nur einen Herrn, der Abt hat zwölf.“Und: „Im Kloster wird es nie langweilig.“Wie auch? Für alle in Tholey gilt eine äußerst stramme Tagestaktu­ng, die durch fünf Gebetszeit­en und die Essenszeit­en vorgegeben ist.

Staunenswe­rt, wie die Mönche es schaffen, ihre festen Arbeits-Aufträge – Waschen, Gartenpfle­ge, Seniorenbe­treuung, Sakristeid­ienst – in die Lücken zu zwängen. Außerdem gilt der Generation­envertrag: Die Jungen pflegen und tragen die Alten. Die Benediktsr­egel halte alle zusammen, sagt Choriol. Lebt er denn im Kloster nun glückliche­r? „Man hört die Stimme Gottes deutlicher“, sagt Choriol.

„Mönch ist ein Ausbildung­sberuf.“Abt Mauritius

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FOTO: DIETZE Abt Mauritius Choriol in seinem Garten: Als Prior ließ er die Parkanlage um die Abtei St. Mauritius in Tholey erneuern. Sie ist öffentlich zugänglich.

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