Fast im rechten Winkel in die Parklücke
ZF hat eine Lenkung entwickelt, die die Vorderräder nahezu doppelt so weit einschlägt wie derzeit üblich
ZF arbeitet an der Lenkung der Zukunft. Der Technologiekonzern hat ein Forschungsfahrzeug präsentiert, in dem die Vorderräder einen Einschlagswinkel von bis zu 75 Grad aufweisen. Das futuristische Vehikel fährt sich wendig wie ein Autoscooter und rangiert wie ein Panzer.
Linthe. Unglaublich, aber wirklich wahr: Ich drehe und drehe am Lenkrad, aber es kommt einfach kein Anschlag. Als ich endlich Widerstand spüre, drehe ich mich mit dem gesamten Kleinstwagen im Kreis wie in einem Autoscooter auf der Kirmes. Im Stand blicke ich zum linken Vorderrad hinunter und erschrecke fast. Es sieht aus, als wäre ich gegen einen Bordstein gedonnert und könnte keinen Meter mehr weiterfahren.
Doch weit gefehlt. Im ADACFahrsicherheitszentrum Linthe südlich von Berlin teste ich gerade die Zukunft des Lenkens, die dank eines 75- Grad-Einschlagswinkels einen unglaublichen Wendekreis von nur 6,50 Metern erlaubt. Das Lenken im „Smart Urban Vehicle“von Zulieferer ZF aus Friedrichshafen macht mächtig Spaß.
Das Forschungsfahrzeug basiert auf dem 3,74 Meter langen Opel Agila, dessen normale Version einen Einschlagswinkel der Vorderräder von maximal 40 Grad und einen Wendekreis von 9,60 Metern bietet. Das ZFAuto kann jedoch problemlos in einem Fußballtor von 7,32 Metern Breite eine Kehre machen, und der Torwart könnte noch entspannt daneben am Pfosten lehnen und zusehen. Ein aktueller, 2,70 Meter langer Smart Fortwo braucht 6,95 Meter für die 180- Grad-Kehre, immerhin fast einen halben Meter mehr
Automobilzulieferer ZF hat sein Forschungsfahrzeug Smart Urban Vehicle vorgestellt, dessen Vorderräder einen Einschlagswinkel von 75 Grad erreichen. Das Einparken wird zum Kinderspiel.
als das deutlich größere ZF-Mobil. Um den großen Einschlagswinkel zu erreichen, haben die Ingenieure am Lenkgestänge noch einen zusätzlichen Lenker befestigt. Das erfordert im Radhaus etwas mehr Platz, ist aber eine kostengünstige mechanische Lösung.
Der volle Einschlagswinkel ist auf niedriges Tempo bis etwa 10 km/h begrenzt, was für unfassbar einfaches Einparken und Wenden allerdings genügt. Um das Einparken bei knappem Parkraum vor allem in Städten zusätzlich zu erleichtern, hat sich ZF noch weiter Gedanken gemacht: Ein Parkassistent rangiert den City-Zwerg vollautomatisch in eine Parklücke hinein, die das System zuvor im Vorbeirollen abgemessen hat. Vorn und hinten genügen jeweils 30 Zentimeter Platz. Der Druck des Fahrers auf eine be- stimmte Fläche eines Tablets oder einer Smartwatch genügt. Bei heute üblichen Parkassistenten sind jeweils rund 40 Zentimeter Platz vorn und hinten nötig.
Damit der Wagen auf engstem Raum einparken kann, wendet ZF einen besonderen Trick an. Als Antrieb dienen zwei Elekt- romotoren an der Hinterachse, einer für jedes Rad. Wie bei einem Panzer mit seinen gegenläufigen Ketten kann ein Rad vorwärts, das andere gleichzeitig rückwärts bewegt werden. Das führt zu einer extremen Wendigkeit.
Das Erstaunliche am Hinterradantrieb des Smart Urban Ve- hicle ist neben seiner intelligenten Steuerung beim Einparken auch seine schiere Kraft: Die beiden Elektromotoren liefern unglaubliche 1400 Nm Drehmoment, fast die dreifache Schubkraft eines Porsche 911 GT3 mit 476 Nm. Zustande kommt dieser unglaubliche Wert durch 16-fache Untersetzung des E-Motors, der mit 21 000 U/min rotiert. Damit sind Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h möglich. Wie es für Elektromotoren typisch ist, legt das Fahrzeug bärenstark los, sobald man das Pedal nur minimal drückt, denn das volle Drehmoment ist sofort abrufbereit.
Wann ein Serienauto mit 75 Grad Einschlagswinkel in Serie geht, hängt laut ZF vor allem davon ab, wann sich ein Hersteller fürs System interessiert, und wie bald dann eine geeignete Plattform zur Serienreife kommt. „In der Regel dauert es bei unseren derartigen Lösungen fünf bis zehn Jahre, bis sie in Serie kommen,“sagt ZF-Entwickler Gerhard Gumpoltsberger. Man darf also gespannt sein, wann das erste City-Mobil noch deutlich wendiger und agiler als bisher durch unsere Straßen flitzt und autonom in enge Parklücken rangiert.
Ein Pkw mit der Lenktechnologie des ZF-Fahrzeugs könnte auch ferngesteuert, ohne Fahrer am Lenkrad, zum Beispiel im Parkhaus einparken. Harald Naunheimer, Leiter Forschung und Entwicklung von ZF, zu den Vorteilen: „Dadurch könnten Parkflächen effektiver genutzt werden. Denn die Türöffnungswinkel müssten dann im Parkhaus nicht mehr berücksichtigt werden, die Parkplätze wären schmaler. Das entlastet die Städte, weil die gewonnenen Flächen als zusätzliche Lebensoder Arbeitsräume genutzt werden können.“