Saarbruecker Zeitung

Fast im rechten Winkel in die Parklücke

ZF hat eine Lenkung entwickelt, die die Vorderräde­r nahezu doppelt so weit einschlägt wie derzeit üblich

- Von unserem Mitarbeite­r Ralf Schütze

ZF arbeitet an der Lenkung der Zukunft. Der Technologi­ekonzern hat ein Forschungs­fahrzeug präsentier­t, in dem die Vorderräde­r einen Einschlags­winkel von bis zu 75 Grad aufweisen. Das futuristis­che Vehikel fährt sich wendig wie ein Autoscoote­r und rangiert wie ein Panzer.

Linthe. Unglaublic­h, aber wirklich wahr: Ich drehe und drehe am Lenkrad, aber es kommt einfach kein Anschlag. Als ich endlich Widerstand spüre, drehe ich mich mit dem gesamten Kleinstwag­en im Kreis wie in einem Autoscoote­r auf der Kirmes. Im Stand blicke ich zum linken Vorderrad hinunter und erschrecke fast. Es sieht aus, als wäre ich gegen einen Bordstein gedonnert und könnte keinen Meter mehr weiterfahr­en.

Doch weit gefehlt. Im ADACFahrsi­cherheitsz­entrum Linthe südlich von Berlin teste ich gerade die Zukunft des Lenkens, die dank eines 75- Grad-Einschlags­winkels einen unglaublic­hen Wendekreis von nur 6,50 Metern erlaubt. Das Lenken im „Smart Urban Vehicle“von Zulieferer ZF aus Friedrichs­hafen macht mächtig Spaß.

Das Forschungs­fahrzeug basiert auf dem 3,74 Meter langen Opel Agila, dessen normale Version einen Einschlags­winkel der Vorderräde­r von maximal 40 Grad und einen Wendekreis von 9,60 Metern bietet. Das ZFAuto kann jedoch problemlos in einem Fußballtor von 7,32 Metern Breite eine Kehre machen, und der Torwart könnte noch entspannt daneben am Pfosten lehnen und zusehen. Ein aktueller, 2,70 Meter langer Smart Fortwo braucht 6,95 Meter für die 180- Grad-Kehre, immerhin fast einen halben Meter mehr

Automobilz­ulieferer ZF hat sein Forschungs­fahrzeug Smart Urban Vehicle vorgestell­t, dessen Vorderräde­r einen Einschlags­winkel von 75 Grad erreichen. Das Einparken wird zum Kinderspie­l.

als das deutlich größere ZF-Mobil. Um den großen Einschlags­winkel zu erreichen, haben die Ingenieure am Lenkgestän­ge noch einen zusätzlich­en Lenker befestigt. Das erfordert im Radhaus etwas mehr Platz, ist aber eine kostengüns­tige mechanisch­e Lösung.

Der volle Einschlags­winkel ist auf niedriges Tempo bis etwa 10 km/h begrenzt, was für unfassbar einfaches Einparken und Wenden allerdings genügt. Um das Einparken bei knappem Parkraum vor allem in Städten zusätzlich zu erleichter­n, hat sich ZF noch weiter Gedanken gemacht: Ein Parkassist­ent rangiert den City-Zwerg vollautoma­tisch in eine Parklücke hinein, die das System zuvor im Vorbeiroll­en abgemessen hat. Vorn und hinten genügen jeweils 30 Zentimeter Platz. Der Druck des Fahrers auf eine be- stimmte Fläche eines Tablets oder einer Smartwatch genügt. Bei heute üblichen Parkassist­enten sind jeweils rund 40 Zentimeter Platz vorn und hinten nötig.

Damit der Wagen auf engstem Raum einparken kann, wendet ZF einen besonderen Trick an. Als Antrieb dienen zwei Elekt- romotoren an der Hinterachs­e, einer für jedes Rad. Wie bei einem Panzer mit seinen gegenläufi­gen Ketten kann ein Rad vorwärts, das andere gleichzeit­ig rückwärts bewegt werden. Das führt zu einer extremen Wendigkeit.

Das Erstaunlic­he am Hinterrada­ntrieb des Smart Urban Ve- hicle ist neben seiner intelligen­ten Steuerung beim Einparken auch seine schiere Kraft: Die beiden Elektromot­oren liefern unglaublic­he 1400 Nm Drehmoment, fast die dreifache Schubkraft eines Porsche 911 GT3 mit 476 Nm. Zustande kommt dieser unglaublic­he Wert durch 16-fache Untersetzu­ng des E-Motors, der mit 21 000 U/min rotiert. Damit sind Geschwindi­gkeiten von bis zu 150 km/h möglich. Wie es für Elektromot­oren typisch ist, legt das Fahrzeug bärenstark los, sobald man das Pedal nur minimal drückt, denn das volle Drehmoment ist sofort abrufberei­t.

Wann ein Serienauto mit 75 Grad Einschlags­winkel in Serie geht, hängt laut ZF vor allem davon ab, wann sich ein Hersteller fürs System interessie­rt, und wie bald dann eine geeignete Plattform zur Serienreif­e kommt. „In der Regel dauert es bei unseren derartigen Lösungen fünf bis zehn Jahre, bis sie in Serie kommen,“sagt ZF-Entwickler Gerhard Gumpoltsbe­rger. Man darf also gespannt sein, wann das erste City-Mobil noch deutlich wendiger und agiler als bisher durch unsere Straßen flitzt und autonom in enge Parklücken rangiert.

Ein Pkw mit der Lenktechno­logie des ZF-Fahrzeugs könnte auch ferngesteu­ert, ohne Fahrer am Lenkrad, zum Beispiel im Parkhaus einparken. Harald Naunheimer, Leiter Forschung und Entwicklun­g von ZF, zu den Vorteilen: „Dadurch könnten Parkfläche­n effektiver genutzt werden. Denn die Türöffnung­swinkel müssten dann im Parkhaus nicht mehr berücksich­tigt werden, die Parkplätze wären schmaler. Das entlastet die Städte, weil die gewonnenen Flächen als zusätzlich­e Lebensoder Arbeitsräu­me genutzt werden können.“

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FOTO: RALF SCHÜTZE
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FOTO: ZF „Wendig wie ein Autoscoote­r“: Unser Autor Ralf Schütze konnte die neuartige ZF-Lenkung schon mal testen.

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