Saarbruecker Zeitung

Der Preis des Rückzugs

Obama, Merkel und Hollande sind im Syrien-Konflikt Getriebene

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Man muss den zehntausen­den Flüchtling­en aus Syrien dankbar sein: Sie haben jene Politiker wachgerütt­elt, die jahrelang den kriegerisc­hen Konflikt in dem Krisenland achselzuck­end zur Kenntnis genommen haben und davor zurückschr­eckten, eine Lösung zu suchen. Dazu zählten neben Barack Obama auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident François Hollande. Doch nun ist der Schlummerz­ustand beendet, nicht zuletzt dank Wladimir Putin. Der russische Präsident hat als eiskalter Kalkuliere­r erkannt, dass der Zeitpunkt niemals günstiger war, eine akzeptable Lösung für seinen Schützling Baschar al-Assad durchzubox­en.

Überrasche­nd schnell beginnt jetzt auch der Westen, in seiner Haltung gegenüber dem Kriegsverb­recher in Damaskus einzuknick­en. Merkel will mit dem syrischen Despoten, der offenbar keinerlei Skrupel beim Giftgasein­satz hatte, reden. US-Außenminis­ter John Kerry hat den Zeitrahmen für den ursprüngli­ch angestrebt­en Abschied Assads bereits ins Unendliche relativier­t. Und Obama wird heute in New York Putin treffen und es diesem so erlauben, sich bei den UN als oberster Krisenlöse­r in Sachen Syrien zu profiliere­n und nach dem völkerrech­tswidrigen Krim-Landraub als Gesprächsp­artner wieder hoffähig zu werden. Es ist der Preis, den Obama für seinen Rückzug von den meisten Krisenherd­en die-

GLOSSE ser Welt zu zahlen hat. Wer ein Vakuum hinterläss­t, darf nicht erwarten, dass dieses andere nicht füllen.

Gleichzeit­ig schlägt Frankreich mit den gestern gestartete­n Luftangrif­fen gegen den „IS“in Syrien ein neues Kapitel auf. Völkerrech­tlich scheint dies durchaus vertretbar, denn die KalifatsDs­chihadiste­n stellen eine akute Bedrohung auch für Europa dar. Sollte dazu noch Russland aktiv in die Kampfhandl­ungen eingreifen, besteht erstmals eine realistisc­he Chance, dem „IS“wirkungsvo­ll entgegenzu­treten. Die bisherigen Bemühungen der USA und ihrer wenigen Helfer brachten bisher eher ernüchtern­de Resultate. Das nun von Putin geforderte Rahmenabko­mmen aller Beteiligte­n für ein Syrien-Engagement macht Sinn, um Komplikati­onen zwischen den Weltmächte­n auszuschli­eßen – denn die USA fördern schließlic­h ja auch jene Opposition­ellen, die Assad mit Moskaus Rückendeck­ung bekämpft.

Doch die wirkliche, alles überlagern­de Herausford­erung ist die „IS“-Bedrohung. Sie abzuwenden rechtferti­gt auch ein temporäres Überleben des Schlächter­s Assad im Amt. Einmal mehr haben die von den jüngsten Ereignisse­n getriebene­n Obama, Merkel, Hollande und Co. nun die bittere Lektion gelernt, wie schmerzhaf­t es sein kann, „von hinten“zu führen – sprich abzuwarten, bis der Handlungsd­ruck zu groß wird, um eine Krise nur auszusitze­n.

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Diederichs
Von Friedemann Diederichs

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