Städte suchen dringend Wohnraum
Unterkünfte für Flüchtlinge werden knapp – Forderung nach Beschlagnahmung
Die Eigenbedarfskündigung einer Stadt in Ostwestfalen zugunsten von Flüchtlingen ist zwar umstritten, doch klar ist, dass Wohnungen für Flüchtlinge dringend gebraucht werden.
Berlin. Angesichts des bevorstehenden Winters suchen die Städte dringend nach weiterem Wohnraum, um die Vielzahl von Flüchtlingen in den Aufnahmelagern unterzubringen. Auch Forderungen nach der Beschlagnahmung leer stehender Gebäude werden dabei zunehmend laut. Wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt, dürfen die Behörden auf Basis des jeweiligen Landesordnungs- oder Sicherheitsgesetzes vorübergehend Gebäude beschlagnahmen. Allerdings ist die Maßnahme in den meisten Bundesländern bislang kein Thema.
Dagegen wollen die Jugendherbergen in Deutschland in der kalten Jahreszeit Tausenden Flüchtlingen eine Unterkunft bieten. „Wir fühlen uns verpflichtet, Menschen in Not zu helfen. In der aktuellen Situation können wir helfen, Flüchtlingen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben“, sagte Bernd Dohn, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH). Die Belegung sei so organisiert, dass einzelne Häuser komplett frei würden, um Flüchtlinge aufzunehmen. „Wir haben andere Gäste einvernehmlich umgebucht und keine neuen Reservierungen mehr angenom-
Notunterkunft in Hamburg. Viele Flüchtlingsfamilien brauchen zeitnah eine neue Heimat.
men. Viele hatten dafür volles Verständnis“, schilderte Dohn.
Auf scharfe Kritik stieß das Vorgehen der ostwestfälischen Stadt Nieheim, die zwei Mieterinnen ihre Wohnung gekündigt hatte, um für Flüchtlinge Platz zu schaffen. „Keinem Deutschen darf wegen Flüchtlingen die Wohnung weggenommen werden“, sagte CDU-Europapolitiker Elmar Brok dem Bielefelder „Westfalen-Blatt“„Solche Entscheidungen senden die völlig falsche Botschaft ins Land und stärken rechtsradikale Kräfte.“
Unterdessen fürchtet der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, eine Zunahme des Antisemitismus durch den Zuzug arabischer Flüchtlinge. Viele Menschen, die aus Syrien oder dem Irak nach Deutschland kom- men, seien in einem Lebensumfeld aufgewachsen, das von Israelfeindlichkeit und Judenhass geprägt sei, sagte Schuster der „tageszeitung“. „Es ist eine große Aufgabe, diese Menschen hin zu den Werten zu bringen, die in Deutschland Bestand haben.“
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, rief bei einem Gottesdienst zum Auftakt der Interkulturellen Woche im Mainzer Dom dazu auf, sich weiter solidarisch mit den Flüchtlingen zu zeigen. Alle Menschen unabhängig von ihrer Religion seien im Besitz der von Gott gegebenen Menschenwürde, sagte Bedford-Strohm. Die Glaubwürdigkeit von Christen hänge davon ab, wie sie mit Menschen in Not umgehen.
Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (88) hat die klaren Worte von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsdebatte gelobt. „Für Menschlichkeit gibt es keine Grenzen, auch keine Obergrenzen“, sagte der FDP-Politiker der „Welt am Sonntag“. Genscher verteidigte auch die Äußerung Merkels, es sei nicht ihr Land, wenn Deutschland sich entschuldigen müsse für ein freundliches Gesicht in Not. „Ich kann nachempfinden, was Frau Merkel gesagt hat. Denn wenn Deutschland ein Land des guten Beispiels ist, dann ist das etwas sehr Schönes nach allem, was war in unserer Geschichte“, betonte Genscher. dpa/epd