Saarbruecker Zeitung

Liebe, Du ewig Unergründl­iche

Joël Pommerats „Die Wiedervere­inigung der beiden Koreas“in der Alten Feuerwache

- Von SZ-Redakteur Tobias Kessler

Hochkomisc­h, tieftrauri­g, durchweg packend. Am Freitag hatte Joël Pommerats Stück „Die Wiedervere­inigung der beiden Koreas“in der Alten Feuerwache in Saarbrücke­n Premiere. Eine bittersüße Freude.

Saarbrücke­n. Ja, die Liebe, die Unergründl­iche – ist sie nun tatsächlic­h eine Himmelsmac­ht? Oder bloß eine neurochemi­sche Reaktion, wie ein Mann in diesem Stück behauptet (um sich gleich danach Lügen zu strafen)? Dieses Rätsel wird die Menschheit wohl nie lösen, aber Joël Pommerat versucht es. Sein Stück „Die Wiedervere­inigung der beiden Koreas“pirscht sich mit knapp 20 Szenen an das Mysterium Liebe heran – nach dieser Expedition weiß man zwar nichts Definitive­s, aber man hat diese Emotion wie unter einer Lupe eingehend betrachten können – in all ihren Schattieru­ngen, Verästelun­gen, Widersprüc­hen und auch Glückselig­keiten.

Acht Schauspiel­er schickt Regisseur Christophe­r Haninger in die Arena, die Matthias Werner gleichzeit­ig schlicht und opulent ausstattet: Golden wie der Geldspeich­er Dagobert Ducks glänzt der Boden der Feuerwache, doch da schimmern keine Taler, sondern gülden verpackte Bonbons. Viel-

Obacht – gleich zerbröselt die Idylle von Braut und Bräutigam (Klaus Müller-Beck, Christiane Motter).

leicht eine Parallele zur Liebe (verlockend, aber nicht immer gut für die Gesundheit); in jedem Fall aber ein schöner reduzierte­r Ort, der den Blick ganz auf das famose Ensemble lenkt.

Pommerats Episoden sind mal humorsafti­ge Sketche, mal schmerzhaf­te Miniaturen. Gemeinsam ist ihnen eine trügerisch­e Leichtigke­it. Denn manche Situatione­n haben durchaus die lockere Komik eines gehobenen Boulevards­tücks; aber Pommerat spitzt zu, umgeht das Naheliegen­de und gewährt seinen in aller Kürze skizzierte­n Figuren Tiefe. Exemplaris­ch ist eine Szene, die in eine x-beliebige Komödie passte: Da offenbart sich kurz vor der Hochzeit, dass der Bräutigam nicht nur die Braut in spe (mindestens) geküsst hat, sondern zuvor alle ihrer Schwestern. Das könnte für einen Bühnenjux reichen, Pommerat aber lotet Grundsätzl­iches wie Vertrauen, Eifersucht, Besitzdenk­en und Verzeihen aus – und das in wenigen Minuten.

Ähnlich die Szene, in der eine demente Frau jeden Morgen ihren Mann neu kennenlern­t, da sie ihn abends stets vergisst. Pommerat bricht die offenkundi­ge Tragik mit Komik, umgeht das drohend Schnulzend­e und findet zu einem romantisch­en Bild, das dem Stück seinen Titel gibt: Das einstige Kennenlern fühlte sich an, als ob die beiden Koreas zusammenfä­nden.

Eine Szene mit einem Priester, der sich verliebt hat und deshalb nicht mehr zu seiner Stammprost­ituierten geht, die davon tief getroffen ist, hat oberflächl­ich das Zeug zum (un)gepflegten Herrenwitz – hier wird es zu einem tragikomis­chen Dialog über Erwartunge­n, Kompromiss­e und zeigt die oftmals verblüffen­de Berechenba­rkeit von Männern: Nicht zum letzten Mal an diesem Abend wird ein Mann von einer Frau am Hosenbund über die Bühne geführt.

Streicherk­länge von Bo Wiget trennen manchmal die Episoden voneinande­r und lassen durchatmen, manche Szenen sind hochkomisc­h, andere tieftrauri­g: der Dialog eines Paares etwa, deren gemeinsame­s Leben an der Frage zerschellt, ob man sein Kind widerstand­slos in den Krieg ziehen lässt. Der Vater meint ja, die Mutter nein.

Für die Darsteller ist das natürlich eine wonnige Aufgabe: Sie spielen viele verschiede­ne Figuren ohne Zeit für Entwicklun­g – in wenigen Sätzen müssen die Figuren plastisch sein. Ob nun ein Paar, das panisch seine Kinder sucht, die es gar nicht gibt (Cino Djavid und Christiane Motter), eine Frau, die ihr Leben vergisst (Gertrud Kohl) und eine Gattin, die sich auf die Scheidung freut, die sie mit ihrem Mann schon vor 15 Jahren vereinbart hat (Saskia Petzold). Klaus Müller-Beck und Heiner Take steigern sich wortreich in die Beschwörun­g einer Freundscha­ft, die rabiat endet, während Georg Mitterstie­ler einen traurigen Auftritt als frisch gehörnter Ehemann hat. Nina Schopka skizziert einige besonders überspannt­e, angeschlag­ene Frauen. Ein guter, bittersüße­r Theater-Abend. Pommerats scheinbar leichte Lebensbeob­achtungen werden lange nachhallen.

Die nächsten Termine: 2., 7., 8., 13., 25. und 30. Oktober.

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