Saarbruecker Zeitung

Vom Hausfrauen­perfekt zum Kiezdeutsc­h

Sprache wird immer häufiger verkürzt – Forscher untersuche­n die Gründe

- Von Antonia Lange (dpa) und Jörg Wingertsza­hn (SZ)

Sprache unterliegt einem ständigen Wandel, sonst würden wir heute noch alle wie Goethe reden und schreiben. Aber muss es gleich das sogenannte Kiezdeutsc­h oder Kurzdeutsc­h sein?

Saarbrücke­n. Sprache hat ihr Eigenleben und ist zuweilen schwer in den Griff zu kriegen. In Frankreich versucht man das gerade mit einer Rechtschre­ibreform, die die Schreibwei­se an den modernen Sprachgebr­auch anpassen soll – begleitet von Protesten, die das gehobene Französisc­h in Gefahr sehen, weil zu stark vereinfach­t werde. Welche Diskussion­en allein die Schriftspr­ache auslösen kann, hat man in Deutschlan­d noch gut in Erinnerung, als hierzuland­e die Rechtschre­ibreform nach jahrelange­m Hickhack eingeführt wurde. Was aber, wenn Sprache plötzlich – sei es geschriebe­n oder gesprochen – ganz andere Blüten treibt?

„Kommst du eigentlich nachher mit Kino?“Der Satz, so erzählt Diana Marossek, brachte das Fass zum Überlaufen. Als jemand der Berliner Sprachwiss­enschaftle­rin diese Frage stellte, fiel ihr auf, wie oft in ihrem Bekanntenk­reis eine Sprache verwendet wird, die sie Kurzdeutsc­h nennt. „Seltsamerw­eise sah kein Mensch einen Anlass, derlei verkürzte Sätze zu korrigiere­n“, notiert sie. In der Praxis heißt das: Der Artikel oder die Kombinatio­n aus Präpositio­n und Artikel wird weggelasse­n. Heraus kommen Sätze wie „Ich bin noch Büro“oder „Er hat Tor geschossen“. Die Forscherin versuchte daher zu ergründen, warum inzwischen so viele Kiezdeutsc­h reden. Denn den vermeintli­chen Fehler machen inzwischen längst nicht mehr nur Migranten, sondern Deutsche aus allen sozialen Schichten. Die Frage ist nur: Warum?

Ein Faktor seien Internet, SMS und soziale Medien. „Wenn es stark auf Kürze ankommt, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass solche Strukturen eine Rolle spielen“, erklärt der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache, Ludwig Eichinger. „Da sind Geschwindi­gkeit und Zeichenzah­l wichtig. Da lässt man weg, was nicht unbedingt nötig ist.“Das hat auch Sprachfors­cherin Marossek festgestel­lt. „Es gibt immer eine formelle und eine informelle Sprache“, sagt sie. In einem Chat wie bei Facebook und Whatsapp gebe es keine Vorgaben.

Das mag manchem Sprachkrit­iker nicht gefallen – und das war schon immer so. Die Sprache sollte stets in gerade der Form erhalten bleiben, die der Sprachkrit­iker selbst als Kind gelernt hat. Alle älteren wie auch alle neueren Sprachform­en wurden im Laufe der Zeit immer wieder von konservati­ven Sprachhüte­rn abgelehnt. Aber, so fragt die Deutsche Gesellscha­ft für Sprache völlig zu Recht, „wollen wir wirklich das heute viel geschmähte Hausfrauen­perfekt wiederbele­ben?“Auch Goethe verwendete noch diese doppelten Perfekt- und Plusquampe­rfektforme­n: „Mignon hatte sich versteckt gehabt“, heißt es zum Beispiel in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Auch der Genitiv der Sprache des Mittelalte­rs ist längst nicht mehr üblich, sonst würden wir schreiben: „Wir trinken des Weines“anstatt „Wir trinken (von dem) Wein.“Alles andere wäre auch kurios.

Solche Veränderun­gen haben nie zum Untergang der deutschen Sprache geführt, auch wenn die Kritiker nie verstummt sind. Karl Kraus forderte schon 1903 „Strafbesti­mmungen gegen die öffentlich­e Unzucht, die mit der deutschen Sprache getrieben wird“. Und Kurt Tucholsky klagte 1918, „alles Mögliche gibt es, nur keine anständige­n richtigen deutschen Wörter mehr“. Ihm blieb nur übrig, zehn Jahre später „einen bösen Verfall der Sprache“festzustel­len. Demgegenüb­er liest sich die Bestandsau­fnahme der Deutschen Gesellscha­ft für Sprache wenig dramatisch: „Die Geschichte der deutschen Sprache hat definiert, was wir heute als gutes und richtiges Deutsch betrachten – wer unsere Sprache liebt, müsste dem Sprachwand­el eigentlich dankbar sein.“

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