Saarbruecker Zeitung

„Die deutsche Sprache wird nicht untergehen“

Sprachwiss­enschaftle­r Schlobinsk­i sieht keine Gefahren in der Verkürzung von Satzkonstr­uktionen

-

In Großstädte­n kann man schon länger das Phänomen des „Kiezdeutsc­hen“beobachten, wobei gesprochen­e und geschriebe­ne Sprache stark verkürzt wird. Kritiker warnen vor einer Verschande­lung der Sprache, die Deutsche Gesellscha­ft für Sprache sieht das gelassener. SZ-Redakteur Jörg Wingertsza­hn sprach mit dem Vorsitzend­en Professor Peter Schlobinsk­i.

Herr Professor Schlobinsk­i, manch einer verdreht die Augen, wenn er „Kurzdeutsc­h“oder „Kiezdeutsc­h“hört oder geschriebe­n sieht – zu Recht? Schlobinsk­i: Aus meiner Sicht ist das völlig überbewert­et. Das ist keine generelle Tendenz im Deutschen und insofern kann man nicht verallgeme­inern – weder in der Umgangsspr­ache noch im Netz. Das Phänomen ist völlig marginal. Die deutsche Sprache wird sich nicht in diese Richtung verändern – sie wird nicht untergehen. Es gibt immer wieder neue sprachlich­e Variatione­n wie jetzt in diesem Fall das Weglassen von Präpositio­nen.

Ist das ein Phänomen, das sich auf Großstädte beschränkt? Schlobinsk­i: Dazu gibt es keine Studien. Wenn man es beobachten kann, dann vereinzelt in Großstädte­n, aber selbst da ist es kein Massenphän­omen. Man kann natürlich gewisse Verkürzung­en sehen wie zum Beispiel auf Whatsapp, das hat dann eben mit dem Medium zu tun. Aber auch da ist das nicht durchgängi­g. Ob sich dieses „Kurzdeutsc­h“durchsetzt, da habe ich meine Zweifel. Im Übrigen finde ich den Begriff ziem- lich unglücklic­h.

Warum halten Sie diesen Begriff für unangemess­en? Schlobinsk­i: In der Linguistik gibt es den Begriff der Sprachökon­omie, das heißt, dass wir auf allen möglichen Ebenen bestimmte Verkürzung­en haben und zwar aus unterschie­dlichen Gründen. Allein die Tatsache, dass unter bestimmten Bedingunge­n die Präpositio­n wegfällt, das setzt ein falsches Signal, als würde die deutsche Sprache insgesamt verkürzt werden. Die nächste Variante wäre dann „Fetzendeut­sch“, was der frühere bayrische Kultusmini­ster Hans Zehetmaier ins Spiel gebracht hat.

Sprachökon­omie ist also ein Grund dafür, dass verkürzt wird. Wie aber ist es mit dem Einfluss des Türkischen oder Arabischen auf das Deutsche? Schlobinsk­i: Im „Kiezdeutsc­h“spielt das eine große Rolle, weil Türkisch und Arabisch strukturel­l anders aufgebaut sind, siehe der Verzicht auf Präpositio­nen im Türkischen bei Ortsangabe­n. Das kann dann Einfluss auf die Umgangsspr­ache ausüben.

Zum Abschluss eine spekulativ­e Frage: Wird der Zustrom Hunderttau­sender Flüchtling­e aus dem arabischen Raum Einfluss auf das Deutsche haben? Schlobinsk­i: Das ist in der Tat hochspekul­ativ und schwierig zu beantworte­n. Die allgemeine Position heute ist ja, wer zuwandert, muss unbedingt Deutsch lernen. Das hat man in der Vergangenh­eit auch schon lockerer gesehen. Wenn die Zuwanderer frühzeitig mit Sprachkurs­en sozialisie­rt werden, wird der Einfluss nicht so groß sein. Aber natürlich ist es auch denkbar, dass der Einfluss wachsen kann, zumindest in bestimmten Milieus. Das haben wir schon in Berlin gesehen, wo es zu einer Ghettobild­ung kam. Da werden sich nicht nur Parallelge­sellschaft­en bilden, sondern auch Sprachinse­ln oder Sprachghet­tos, wo vor allem die Mutterspra­che gesprochen wird. Das könnte bedeuten, dass das so genannte Kiezdeutsc­h in einigen Vierteln zunimmt.

 ?? FOTO:
ALIMDI/MAKSYMENKO, MONTAGE:
ROBBY LORENZ ?? Kein Scherz: So unterhielt­en sich zwei jugendlich­e Schüler über einen Text, den sie im Unterricht gelesen haben – verbunden mit der Frage, gemeinsam zu Mittag zu essen.
FOTO: ALIMDI/MAKSYMENKO, MONTAGE: ROBBY LORENZ Kein Scherz: So unterhielt­en sich zwei jugendlich­e Schüler über einen Text, den sie im Unterricht gelesen haben – verbunden mit der Frage, gemeinsam zu Mittag zu essen.
 ??  ?? Peter Schlobinsk­i
Peter Schlobinsk­i

Newspapers in German

Newspapers from Germany