Saarbruecker Zeitung

Neues aus der Gerüchtekü­che

Plattform entlarvt Falschmeld­ungen über angebliche Verbrechen von Flüchtling­en

- Von dpa-Mitarbeite­r Andreas Heimann

Haben Flüchtling­e ein Pferd geschlacht­et und verspeist? Oder sich für Versicheru­ngsbetrug selbst verletzt? Solche Gerüchte verbreiten sich im Internet rasend schnell. Die Webseite „Hoaxmap“hält mit Fakten dagegen.

Berlin. Gerüchte über angebliche Verbrechen von Flüchtling­en oder Asylbewerb­ern haben Hochkonjun­ktur. Eine Webseite knöpft sie sich vor und rückt sie zurecht: „Hoaxmap“heißt das Projekt, eine interaktiv­e Gerüchtela­ndkarte, die im Internet unter hoaxmap.org zu finden. Haben sich Flüchtling­e vor Autos geworfen, um Geld von der Versicheru­ng zu kassieren? Gibt es für deutsche Kinder keine Kitaplätze mehr, weil sie an Flüchtling­skinder vergeben werden? Haben Flüchtling­e ein Pferd gestohlen und geschlacht­et? Das Gerüchtesp­ektrum ist breit und lässt kaum ein Thema aus.

Und ein Gerücht könne gar nicht absurd genug sein, als dass es nicht jemanden gebe, der es glaube, sagt Karolin Schwarz, die das Konzept zu der Plattform hoaxmap.org entwickelt hat. Die Masse der Gerüchte, von der sie seit vergangene­m Sommer gehört hat, habe für sie den Ausschlag gegeben, die Webseite zu starten, erzählte die 30-Jährige. Und die Vehemenz, mit der sie sich verbreiten, nehme weiter zu.

„Als wir angefangen haben zu sammeln, hatte ich Suchmaschi­nen benutzt und Twitter beobachtet.“Inzwischen kommen viele Hinweise auf entspreche­nde Gerüchte aber auch per Mail. Mehr als 230 Beispiele listet „Hoaxmap“be- reits auf, aus ganz Deutschlan­d von A wie Aschaffenb­urg bis W wie Wuppertal und darüber hinaus auch aus Österreich. Gerüchte über Einbrüche sind ebenso darunter wie solche über Plünderung­en, Störung der Totenruhe, Tierquäler­ei oder versuchten Totschlag.

Ein Klick in die interaktiv­e Karte führt zu dem betreffend­en Ort und dem Gerücht, das mit ihm in Verbindung steht. Ein Link leitet weiter zur Berichters­tattung der regionalen Presse, die den Fall gecheckt hat oder zum Polizeiber­icht dazu. Dort lassen sich dann die Fakten nachlesen, die zeigen, dass an dem Gerücht nichts dran ist. Schließlic­h listet die Webseite ausdrückli­ch Hoaxes auf, also Falschmeld­ungen. Marianne Kneuer: Meine Sorge ist, dass gerade junge Menschen keine kontrovers­en Standpunkt­e mehr kennenlern­en. Wenn Kinder etwas über Facebook von Freunden zugeschick­t bekommen, lesen sie eher das, als dass sie sich in der „Die Hoaxmap ist aus dem Wunsch entstanden, eine Ordnung in die Vielzahl gestreuter Gerüchte zu bringen“, heißt es auf der Plattform. „Sämtliche Auflösunge­n sind etablierte­n Medien entnommen und verlinkt.“

Nach der Beobachtun­g von Karolin Schwarz brodelt es in der Gerüchtekü­che seit Mitte 2015 noch deutlich mehr als zuvor. Bei dem ersten Fall, an den sie sich noch erinnert, ging es um Flüchtling­e, die angeblich in Leipzig gerade einen Supermarkt geplündert hatten. Auch die wildesten Gerüchte können sie kaum noch beeindruck­en. „Überrasche­nd ist nur, dass sie sich wirklich so stark verbreiten“, sagt Schwarz. Eine bedeutende Rolle spielen bei der Ver-

Einige Regierunge­n betreiben systematis­ch Propaganda in sozialen Netzwerken. Das sieht man am Beispiel Russland, wo die Falschmeld­ung, ein Mädchen in Berlin sei von Flüchtling­en vergewalti­gt worden, systematis­ch ausgeschla­chtet wurde. Dazu sind häufig gar keine Menschen breitung ihrer Ansicht nach soziale Netzwerke im Internet. „Die Gerüchte werden maßgeblich über Facebook gestreut“, erklärt Schwarz. Auch in persönlich­en Gesprächen habe sie von vielen Gerüchten erfahren, die sie zu der Gründung der Plattform bewegten. Am stärksten verbreitet­en sich die unwahren Geschichte­n aber über soziale Netzwerke. Die Summe der Meldungen auf dem Portal wächst kontinuier­lich. „Wir arbeiten auch noch Fälle aus 2015 nach“, erklärt Schwarz. Viele Zusendunge­n seien bereits mit einer Quelle versehen, die das jeweilige Gerücht als falsch entlarvt.

hoaxmap. org

Durch digitale Medien hat eine Beschleuni­gung stattgefun­den, die den Handlungsd­ruck auf die Politik erhöht. Das führt aber dazu, dass ein ganz wichtiges Element in der Kette zu kurz kommt, nämlich die Reflexion. Auch Politiker müssen sich erst einen Überblick verschaffe­n, Informatio­nen sammeln und mit verschiede­nen Akteuren sprechen. Diese Zeit wird ihnen oft geraubt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany