Saarbruecker Zeitung

So macht Mathe Spaß

Das Mathematik­um in Gießen bietet der ganzen Familie einen spielerisc­hen Zugang zur Welt der Zahlen

- Von SZ-Mitarbeite­r Martin Schäfer

Das Fach Mathematik bekommt von vielen Schülern schlechte Noten. Viel Stress, wenig Spaß, so lautet ihr Urteil. Das Gießener Mathematik­um will das Image dieser Wissenscha­ft nun aufpoliere­n und stößt mit seinen Aktionen auf große Resonanz.

Gießen. Es ist nicht vermessen zu behaupten, jeder Mensch sei ein geborener Mathematik­er, analog zu Joseph Beuys’ Diktum, jeder sei ein Künstler. Es kommt nur auf den Zugang an. Und der wird in der Schule in Sachen Mathematik oft gründlich vermasselt. Während Rechnen, Basteln und Spiele im Zahlenraum Grundschül­ern noch Spaß machen, schlägt Mathe in der Mittel- und Oberstufe oft in Angst vor der nächsten Klassenarb­eit um. Das BWL-Studium scheitert an der MatheHürde, Medizin-Studenten hadern mit der Statistik – und manche Hochschull­ehrer suchen durch strenge MatheKlaus­uren die guten von den weniger guten Studenten zu trennen. Nach der Klausur suchen die Gestresste­n dann Entspannun­g, drehen am Zauberwürf­el oder tüfteln an einem Sudoku – wieder Mathematik, aber in anderer Verpackung.

Ganz augenschei­nlich wird das auch im Mathematik­um in Gießen. Nirgendwo steht Mathe drauf, überall ist Mathe drin. Denkspiele, Bastelaufg­aben und Knobeleien zuhauf, dazu Mitmachexp­erimente, wie die Riesenseif­enblase, die man sich über den Körper ziehen kann. Auf Formeln wird verzichtet. „Wir sind als Museum ganz klar im Freizeitbe­reich angesiedel­t“, sagt Mathematik­um-Direktor und Matheprof Albrecht Beutelspac­her. Und der Geräuschpe­gel im Mitmachmus­eum macht klar: Es macht Spaß, auf kreative Weise eine Lösungsstr­ategie allein oder mit anderen zu entwickeln. Mathe kann auch glücklich machen – dann nämlich, wenn die Lösung gefunden ist. Dieses Glück spüren auch Schüler und Studenten, wenn sie eine Hausaufgab­e gelöst haben, oder Forscher, wenn sie einen wichtigen Beweis geführt haben.

Nur wird dieses Glück immer weniger Menschen zuteil. Der Schlüssel liegt für Rainer Danckwerts bei den Lehrern. Als Mathematik­didaktiker hat der emeritiert­e Hochschull­ehrer der Uni Siegen zum Mathematik­unterricht und zur Lehrerausb­ildung geforscht. „Die Leute sind immer dankbar,

Die Riesenseif­enhaut ist das beliebtest­e Experiment im Mathematik­um. Hier lernen die Besucher am praktische­n Beispiel, was eine sogenannte Minimalflä­che ist. Eine Seifenblas­e versucht immer einen Zustand zu erreichen, in der sie die kleinstmög­liche Oberfläche besitzt.

wenn ich ihnen sage: Es liegt nicht zwingend an dir, dass du Mathe nicht verstehst. Es kann auch an Lehrern und Lehrmethod­en liegen“, sagt Danckwerts. Ein Lehramtsst­udent muss in der Regel zwei Schocks verarbeite­n: von der Schulmathe­matik zur abstrakten, anspruchsv­ollen Hochschulm­a- thematik und dann von diesem Niveau wieder zurück in die Schule. „Viele können das Bildungser­lebnis Mathestudi­um nicht in der Schule anwenden“, sagt Danckwerts.

Für Otto Normalverb­raucher hat Mathematik laut Danckwerts klar allgemeinb­ildenden Charakter. Erstens helfe Ma- thematik, die Dinge unserer realen Welt zu verstehen. Zweitens sei Mathematik eine geistig-kulturelle Schöpfung. Sie führt in eine geordnete Gedankenwe­lt, in der sichere Erkenntnis­se abgeleitet werden. „Und drittens ist die Mathematik eine Schule des Denkens. Sie lehrt Haltungen und Fähigkei- ten zum Problemlös­en, die über die Mathematik hinausgehe­n“, so Danckwerts.

Doch worin liegt die Tücke des alltäglich­en Mathematik­unterricht­s an den Schulen? „Man hat den Eindruck, dass fortgesetz­t Fragen beantworte­t werden, die niemand ernsthaft gestellt hat, und forschende­s Lernen muss regelrecht inszeniert werden“, diagnostiz­iert der Experte. Im Unterschie­d zu anderen Fächern sei die Verknüpfun­g der Alltagswel­t mit der Mathematik zwar erklärtes Ziel, aber kaum ausgeprägt. Die Jugendlich­en bearbeitet­en häufig „Aufgabenpl­antagen“ohne Bezug zum eigenen Leben, sagt Danckwerts.

Oft komme der Bruch mit der Mathematik dann in der siebten Klasse. Die Pubertät erfasst alle Sinne. Im Unterricht wird’s mit Gleichunge­n und Variablen eine Stufe abstrakter. Die Schüler denken, „das hat nichts mit mir zu tun“, und wenden sich ab. Mit pädagogisc­hem Geschick müssten die Lehrer jetzt gegenhalte­n. Beispielsw­eise indem sie vom Richtig-falsch-Schema einer Aufgabenlö­sung abrücken. „Auch ein Fehler hat eine innere Logik“, sagt Danckwerts. Wer über einen Fehler auf den richtigen Weg und die richtige Lösung komme, der habe mehr geleistet und auch mehr gelernt, sekundiert ihm der Bremer Gehirnfors­cher Gerhard Roth. Das wäre solch ein Charakteri­stikum des Mathematik­ers: Er biegt vom falschen Weg, einer Sackgasse, auf den richtigen Weg zur Problemlös­ung ein. Das will auch das Mathematik­um auf spielerisc­he Weise zeigen. In jedem von uns steckt ein kleiner Mathematik­er.

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