Spießig ist das neue Cool: Als Alien im Hipster-Café
Die Kollegin schwärmt am Telefon: „Das ist so ein richtig spießiges Café, da sollten wir unbedingt hingehen“. Lange weiße Gardinen gibt es in dem Café, erzählt sie, „es ist wie stehengeblieben dort, und die Bedienung total unfreundlich“. Die Kollegin, muss man dazu sagen, ist noch ziemlich jung. Die Zeiten, als dem Gast in Cafés noch gern ein „draußen nur Kännchen“entgegengebellt wurde, hat sie nicht selbst erlebt. Für sie hat dieses Café, dessen Namen ich hier lieber nicht verrate, etwas Ungewohntes, irgendwie Aus-derZeit- Gefallenes. Spießig ist das neue Cool sozusagen.
Während ich ihr fasziniert zuhöre, erinnere ich mich an meine Schulzeit in Merzig. Da waren eine Freundin und ich auch hingerissen von einem uralten Café, in dem nach meiner Erinnerung nur uralte Leute saßen. Während unsere Freunde in den üblichen Kneipen abhingen, gingen wir in das alte Café, das wir „Café Wölkchen“getauft hatten und fühlten uns besonders. Ein bisschen wie 17-jährige Aliens auf einem fremden Senioren-Planeten.
Dieses Aus-der-eingetretenen-Spur- Gehen macht man später viel zu selten. Man sammelt im Laufe der Jahre Stammcafés, Stammkneipen, Stamm-Restaurants und bewegt sich eigentlich immer im gleichen Umfeld, sieht die selben Leute. Manchmal wähle ich deshalb bewusst Orte, die gar nichts mit meinem üblichen Leben zu tun haben.
Ein solcher Platz ist zum Beispiel das kleine Lokal mitten im Wald am Bierbacher Weiher. Da isst man Pfälzer Platte und trinkt Bier statt Wein. Ich fühle ich da immer ein bisschen wie in einem alten Heinz-ErhardtFilm.
Auch in Saarbrücken habe ich ein Café, das ich heimelig finde, weil es auf beruhigende Art altmodisch ist. Und ich verrate auch, welches: das Café Schubert auf dem Rotenbühl. Das ist jetzt nicht so zum Jubeln spießig, wie es offenbar das neue In- Café der Kollegin ist. Aber es hat so eine gewissen Gediegenheit, die aus alten Zeiten kommt. Und die Gäste haben auffallend gute Manieren. Manchmal braucht man so eine Atmosphäre so nötig wie eine gute Tasse Kaffee.
Daneben gibt es noch ein paar Orte, an denen ich in einer ganz anderen Richtung aus meinem Leben fallen kann. Dort sitzen keine wohlerzogenen älteren Herrschaften, sondern ziemlich junge Leute – die männlichen Exemplare meist mit Fusselbart und Mütze, die weiblichen gern mit Knötchen. Das Ambiente ist entweder bewusst „spießig“oder mit einem gewissen RohbauCharme, wie er aktuell gerade angesagt ist.
Die Burgerei am St. Johanner Markt zum Beispiel ist so ein „cooler“Ort mit rauen Wänden und jungen Menschen. Oder die herrlich „altmodische“Eisbar Amore in der Cecilienstraße, wo es im Sommer übrigens vom Magazin „Feinschmecker“geadeltes Eis gibt.
In gewisser Weise schließt sich in solch „angesagten“Lokalen für mich dann auch der Kreis zum Merziger Café Wölkchen meiner Teenie-Jahre. Ich lande dort nämlich auch wie eine Art Alien – aber diesmal wie ein Fünfziger-Alien auf dem Hipster-Planeten . . .