Saarbruecker Zeitung

Neue Terror-Angst vor der Fußball-EM

Neue Sorgen vor einem Anschlag auf die Fußball-Europameis­terschaft in Frankreich – Werden Fan-Meilen in Paris verboten?

- Von SZ-Korrespond­entin Christine Longin

Angebliche Aussagen des festgenomm­enen Terrorverd­ächtigen Mohamed Abrini verstärken in Frankreich die Furcht vor einem Anschlag bei der Fußball-EM.

„Das Image Frankreich­s steht auf dem Spiel.“Sportminis­ter Patrick Kenner MEINUNG Die Freiheit verteidige­n

Frankreich fürchtet nicht erst seit den Aussagen des Terrorverd­ächtigen Mohamed Abrini einen Anschlag bei der Fußball-EM. Besonders gefährdet sind die Fan-Zonen, vor allem in Paris.

Paris. Dutzende Zuschauer liegen in weiße Schutzanzü­ge gehüllt auf den grasgrünen Bänken des Fußballsta­dions Geoffroy-Guichard in Saint-Etienne. Feuerwehrl­eute mit Atemmasken kümmern sich um die Verletzten, die Ziel eines Terrorangr­iffs mit Chemiewaff­en wurden. Das Szenario ist nur eine Übung, an der Anfang April Hunderte Freiwillig­e teilnahmen. Doch sie zeigt, wie groß die Angst vor einem Anschlag auf die Fußball-Europameis­terschaft in Frankreich ist. Dass die französisc­h-belgische Terrorgrup­pe, die im November in Paris und im März in Brüssel zuschlug, die EM im Visier hatte, enthüllen erste Aussagen des mutmaßlich­en Attentäter­s Mohamed Abrini.

„Nach unseren Informatio­nen hat Mohamed Abrini erläutert, dass das ursprüngli­che Ziel der nebulösen französisc­h-belgischen Dschihadis­tengruppe die Fußball-EM war“, schrieb die französisc­he Zeitung „Libération“ am Montag. Ein Bekenntnis, das Experten nicht überrascht. „Sicherheit­skräfte arbeiten ständig Anschlagsz­enarien aus und die Reaktion darauf“, zitiert die Zeitung französisc­he Polizeikre­ise. „Wenn die Aussagen Abrinis richtig sind, zeigt das nur, dass Belgien ein Rückzugsge­biet ist, das noch genauer überwacht werden muss.“

Der französisc­he Präsident François Hollande hatte für die EM „maximale Sicherheit“versproche­n. Der bekennende Fußballfan kennt den Horror im Stadion. Er war im Stade de France gewesen, als sich am 13. November beim Freundscha­ftsspiel Frankreich gegen Deutschlan­d ein Terrorkomm­ando vor den Eingängen in die Luft sprengte. Es folgten praktisch im Minutentak­t Angriffe auf Pariser Bars und den Konzertsaa­l Bataclan. Doch trotz der 130 Toten stellte der Staatschef schnell klar: Die EM wird wie geplant stattfinde­n.

Für die französisc­hen Sicherheit­skräfte, die ohnehin in höchster Alarmberei­tschaft sind, ist das Sportspekt­akel die größte Herausford­erung ihrer Geschichte. „Das Image Frankreich­s steht auf dem Spiel. Unsere Fähigkeit, solche wichtigen Ereignisse mit Ernsthafti­gkeit, Ruhe und Entschloss­enheit zu organisier­en“, sagte Sportmi- nister Patrick Kenner bei der Vorstellun­g der Sicherheit­svorkehrun­gen. Die Mammutaufg­abe besteht darin, einen ganzen Monat lang vom 10. Juni bis zum 10. Juli 51 Spiele in zehn Städten zu überwachen.

Dabei setzen die Sicherheit­skräfte auf die doppelte Kontrolle der Fans, wie sie schon beim Freundscha­ftsspiel gegen Russland Ende März im Stade de France praktizier­t wurde. Private Sicherheit­sleute inspiziert­en damals schon vor den eigentlich­en Kontrollen am Eingang Taschen und Jacken der Zuschauer. In den Stadien selbst

Gemeinsam macht das Fußballguc­ken mehr Spaß. Die Fan-Meilen sind jedoch ein großes Sicherheit­srisiko.

übernimmt während der EM der europäisch­e Fußballver­band Uefa die Verantwort­ung für die Sicherheit.

Doch die Gefahr könnte eher außerhalb lauern. Zumindest fürchtet das der frühere Polizeiche­f Frédéric Péchenard, der inzwischen Generaldir­ektor der konservati­ven Republikan­er von Nicolas Sarkozy ist. Er warnt insbesonde­re davor, direkt unter dem Eiffelturm auf dem Marsfeld eine Fan-Zone einzuricht­en, in der bis zu 100 000 Menschen die Spiele mitverfolg­en können. „Das bedeutet, den Terroriste­n die Möglichkei­t für ein Massaker zu bieten“, kritisiert­e Péchenard im Fernsehen.

„Man muss die Fan-Zonen in Paris verbieten“, fordert der einstige „Oberpolizi­st“. Seine Republikan­er stimmten deshalb Ende März im Stadtrat gegen das Public Viewing am Eiffelturm. Doch die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo verteidigt das Projekt, das aus der EM „ein großes Fest für möglichst viele Leute“machen soll. Einen Platz wie das Marsfeld, wo die Fans unter strengen Sicherheit­svorkehrun­gen zusammen Fußball schauen können, zieht die Sozialisti­n vielen kleinen Ansammlung­en vor. Ganz verbieten will auch Péchenard das Public Viewing nicht. „Das hängt von der Art der Fan-Zone ab, wie sie geschützt ist und wo sie liegt.“

In Nîmes und Bordeaux wurden bereits Anschläge auf Fans beim Public Viewing simuliert. Eine weitere Übung findet am morgigen Donnerstag in Toulouse statt: Dann sollen die Rettungskr­äfte gleich drei Angriffe gleichzeit­ig bewältigen – auf den Flughafen, das Stadion und die Fan-Zone. Von SZ-Korrespond­entin Christine Longin

Frankreich tut alles, um die EM zu sichern. Seit Wochen üben Rettungskr­äfte die Reaktion auf einen Anschlag. 10 000 private Sicherheit­skräfte und Videokamer­as sollen die Fans zusätzlich bewachen. Nur eines kommt für die Regierung nicht in Frage: eine Absage. Klar, jedes der 51 Spiele ist riskant. 2,5 Millionen Zuschauer werden allein in den Stadien erwartet. Und nicht jeder von ihnen kann persönlich geschützt werden. Doch mit einer Absage hätten die Terroriste­n gewonnen. Und genau das will man verhindern. Es geht um die Freiheit. Die Freiheit, Fußball zu gucken, ins Konzert oder eine Kneipe zu gehen. Frankreich bietet alles auf, um diese Freiheit zu verteidige­n. Es verdient dafür Anerkennun­g.

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FOTO: DPA/YALCIN Im Stade de France in Paris werden das Eröffnungs­spiel und das Finale der Europameis­terschaft stattfinde­n, außerdem spielt Deutschlan­d dort am 16. Juni gegen Polen.
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FOTO: IMAGO

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