Gymnasium führt Gleitzeit für Schüler ein
Ein Gymnasium bei Aachen bietet Jugendlichen die Möglichkeit, später zum Unterricht zu kommen
Halb schlafend in die Schule – bei Jugendlichen kein Wunder: Ihre innere Uhr tickt anders. In einem Gymnasium bei Aachen gibt es Gleitzeit für Schüler. Die dürfen später kommen.
Alsdorf/Saarbrücken. Andere Schüler könnten glatt neidisch werden: Oberstufenschüler des Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen dürfen länger schlafen, wenn sie wollen. Sie können wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um 8 Uhr kommen oder zur zweiten gegen 9 Uhr. „Super cool, wir können ausschlafen“, sagt Schulsprecher Lars Meyer kurz nach dem Start begeistert.
Als erste Schule in Deutschland gehe das Alsdorfer Gymnasium auf die innere Uhr von Jugendlichen ein, stellt der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München fest. Die tickt nämlich anders als bei Erwachsenen, erklärt er: Bei der Synchronisation mit dem Tag-Nacht-Rhythmus geht die innere Uhr der meisten Jugendlichen etwa bis zum 20. Lebensjahr nach. Sie können erst später einschlafen. Müssen sie entgegen ihrer biologischen Uhr schon um acht in der Schule sein, entsteht ein „sozialer Jetlag“. Drei Viertel der Jugendlichen hätten damit zu kämpfen, sagt Roenneberg: Die Schüler sitzen dann halb schlafend im Unterricht. Außerdem fällt der wichtige Anteil des Schlafes, der das erlernte Wissen vom Vortag konsolidieren soll, weg. Die Wissenschaft fordert demnach seit zehn Jahren einen späteren Unterrichtsbeginn.
Das wird auch in der Politik gehört. Für einen späteren Unterrichtsbeginn müsse es einen Wandel in der Wirtschaft geben, hatte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) bereits im vergangenen Jahr dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“gesagt. Nach Einschätzung von Eltern passe ein späterer Schulbeginn nicht zur Arbeitswelt, erläuterte sie.
Im Saarland bieten manche weiterführenden Schulen einen „offenen Beginn“oder „gleitenden Einstieg“an. Diese Zeit – etwa 20 bis 30 Minuten – kann mit einem gemeinsamen Frühstück oder Gesprächen genutzt werden und soll den Schülern Zeit geben, anzukommen, anstatt gleich voll in den Unterricht einzusteigen. Bildungsminister Ulrich Commerçon setzt dabei auf die eigenständige Gestaltung der Schulen, auch unter Mitbestimmung der Eltern. Feste Vorgaben will er nicht machen. Grundsätzlich muss der reguläre Unterricht jedoch bis 8.15 Uhr begonnen haben.
„Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach“, erzählt der 17-Jährige Luca Diehr in Alsdorf. Jetzt kommt er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlt sich fit. Natürlich gibt es auch Schüler wie Milena Kandetzki (17): „Ich habe kein Problem, früh aufzustehen und komme immer zur ersten Stunde.“Das ist aber die Minderheit.
Dass die „Gleitzeit“in Alsdorf organisatorisch möglich ist, hängt mit dem besonderen Unterrichtskonzept zusammen, wie Schulleiter Wilfried Bock sagt. Unterrichtet wird nach dem Dalton-Plan der amerikanischen Pädagogin Helen Parkhurst. Neben den herkömmlichen Stunden können sich die Schüler pro Woche zehn Unterrichtsstunden selbst einteilen, um Aufgaben eigenständig zu lösen. Dabei arbeiten Schüler aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen insgesamt zwei Stunden am Tag bei einem Lehrer ihrer Wahl. Sie entscheiden selbst, mit wem sie arbeiten und woran. Wenn die Stunde rum ist, bekommen sie dafür vom Lehrer einen Stempel. Luca Diehr fällt nicht ein, so früh zu kommen, er holt den Unterricht in Freistunden nach: „Früher haben wir in den Freistunden Karten gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.“
Wie sich der Schlaf der Schüler durch die Umstellung verändert, untersucht Wissenschaftler Roenneberg. Er hat die Einführung der „Gleitzeit“begleitet, Daten vorher und nachher erhoben. Das Ergebnis der Auswertung wird im Sommer erwartet.