Saarbruecker Zeitung

Gymnasium führt Gleitzeit für Schüler ein

Ein Gymnasium bei Aachen bietet Jugendlich­en die Möglichkei­t, später zum Unterricht zu kommen

- Von Elke Silberer (dpa) und Stefanie Marsch (SZ)

Halb schlafend in die Schule – bei Jugendlich­en kein Wunder: Ihre innere Uhr tickt anders. In einem Gymnasium bei Aachen gibt es Gleitzeit für Schüler. Die dürfen später kommen.

Alsdorf/Saarbrücke­n. Andere Schüler könnten glatt neidisch werden: Oberstufen­schüler des Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen dürfen länger schlafen, wenn sie wollen. Sie können wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um 8 Uhr kommen oder zur zweiten gegen 9 Uhr. „Super cool, wir können ausschlafe­n“, sagt Schulsprec­her Lars Meyer kurz nach dem Start begeistert.

Als erste Schule in Deutschlan­d gehe das Alsdorfer Gymnasium auf die innere Uhr von Jugendlich­en ein, stellt der Chronobiol­oge Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München fest. Die tickt nämlich anders als bei Erwachsene­n, erklärt er: Bei der Synchronis­ation mit dem Tag-Nacht-Rhythmus geht die innere Uhr der meisten Jugendlich­en etwa bis zum 20. Lebensjahr nach. Sie können erst später einschlafe­n. Müssen sie entgegen ihrer biologisch­en Uhr schon um acht in der Schule sein, entsteht ein „sozialer Jetlag“. Drei Viertel der Jugendlich­en hätten damit zu kämpfen, sagt Roenneberg: Die Schüler sitzen dann halb schlafend im Unterricht. Außerdem fällt der wichtige Anteil des Schlafes, der das erlernte Wissen vom Vortag konsolidie­ren soll, weg. Die Wissenscha­ft fordert demnach seit zehn Jahren einen späteren Unterricht­sbeginn.

Das wird auch in der Politik gehört. Für einen späteren Unterricht­sbeginn müsse es einen Wandel in der Wirtschaft geben, hatte Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) bereits im vergangene­n Jahr dem Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“gesagt. Nach Einschätzu­ng von Eltern passe ein späterer Schulbegin­n nicht zur Arbeitswel­t, erläuterte sie.

Im Saarland bieten manche weiterführ­enden Schulen einen „offenen Beginn“oder „gleitenden Einstieg“an. Diese Zeit – etwa 20 bis 30 Minuten – kann mit einem gemeinsame­n Frühstück oder Gesprächen genutzt werden und soll den Schülern Zeit geben, anzukommen, anstatt gleich voll in den Unterricht einzusteig­en. Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon setzt dabei auf die eigenständ­ige Gestaltung der Schulen, auch unter Mitbestimm­ung der Eltern. Feste Vorgaben will er nicht machen. Grundsätzl­ich muss der reguläre Unterricht jedoch bis 8.15 Uhr begonnen haben.

„Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach“, erzählt der 17-Jährige Luca Diehr in Alsdorf. Jetzt kommt er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlt sich fit. Natürlich gibt es auch Schüler wie Milena Kandetzki (17): „Ich habe kein Problem, früh aufzustehe­n und komme immer zur ersten Stunde.“Das ist aber die Minderheit.

Dass die „Gleitzeit“in Alsdorf organisato­risch möglich ist, hängt mit dem besonderen Unterricht­skonzept zusammen, wie Schulleite­r Wilfried Bock sagt. Unterricht­et wird nach dem Dalton-Plan der amerikanis­chen Pädagogin Helen Parkhurst. Neben den herkömmlic­hen Stunden können sich die Schüler pro Woche zehn Unterricht­sstunden selbst einteilen, um Aufgaben eigenständ­ig zu lösen. Dabei arbeiten Schüler aus unterschie­dlichen Klassen und Jahrgängen insgesamt zwei Stunden am Tag bei einem Lehrer ihrer Wahl. Sie entscheide­n selbst, mit wem sie arbeiten und woran. Wenn die Stunde rum ist, bekommen sie dafür vom Lehrer einen Stempel. Luca Diehr fällt nicht ein, so früh zu kommen, er holt den Unterricht in Freistunde­n nach: „Früher haben wir in den Freistunde­n Karten gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.“

Wie sich der Schlaf der Schüler durch die Umstellung verändert, untersucht Wissenscha­ftler Roenneberg. Er hat die Einführung der „Gleitzeit“begleitet, Daten vorher und nachher erhoben. Das Ergebnis der Auswertung wird im Sommer erwartet.

 ?? FOTO: FOTOLIA ?? Viele Schüler kämpfen mit Schlafmang­el, weil sie erst spät einschlafe­n können, aber früh aufstehen müssen.
FOTO: FOTOLIA Viele Schüler kämpfen mit Schlafmang­el, weil sie erst spät einschlafe­n können, aber früh aufstehen müssen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany