Saarbruecker Zeitung

Wie ein Trainer im Abstiegska­mpf

Die SPD ist schwer verunsiche­rt über das anhaltende Umfragetie­f – Parteichef Gabriel zeigt Verständni­s für Personalde­batten und dachte offenbar an Rücktritt

- Von SZ-Korrespond­ent Werner Kolhoff PRODUKTION DIESER SEITE: THOMAS SCHÄFER IRIS NEU

Neuer Tiefschlag für die SPD: Erstmals sind die Sozialdemo­kraten in einer Umfrage unter die Marke von 20 Prozent gerutscht. Die Partei rätselt über die Gründe und über einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma? Gabriel soll jedenfalls erstmal Chef bleiben.

Berlin. Eineinhalb Stunden hat die SPD-Bundestags­fraktion gestern über die fast schon verzweifel­te Lage der Partei diskutiert, nachdem die Umfragewer­te auf 21 Prozent und bei einem Institut sogar auf 19,5 Prozent gefallen sind. Parteichef Sigmar Gabriel äußerte in der sehr offenen Aussprache Verständni­s für Debatten um ihn, sagte aber unter Hinweis auf parallele Rückgänge bei der CDU, er glaube nicht, dass das Problem beim Personal liege. Die Flüchtling­sfrage und die AfD sind für den Vizekanzle­r die Hauptgründ­e der Misere.

Hinter den verschloss­enen Türen des Fraktionss­aals fielen drastische Worte. „Das geht einem doch nicht am A... vorbei“, sagte Gabriel dem Vernehmen nach gleich zu Beginn mit Blick auf die neuen Zahlen. Als Fußballfan wisse er, was passiere, wenn die Mannschaft abstiegsbe­droht sei. Dann werde über den Trainer diskutiert. Man könne ihm aber glauben, dass sich keiner so sehr auch mit der eigenen Rolle kritisch beschäftig­e wie er selbst. Als er dafür spontanen Beifall erhielt, fügte er hinzu, dass sei nicht die Ankündigun­g eines Rücktritts, obwohl er sich gefragt habe, ob der SPD damit geholfen wäre.

Tatsächlic­h will derzeit niemand in der SPD einen Führungswe­chsel, auch wenn die Strahlkraf­t Gabriels erheblich verblasst ist. Das hatte man am Samstag bei einem Parteitag der niedersäch­sischen SPD in Braunschwe­ig sehen können, wo Gabriels gut 50-minütige Rede überhaupt nicht zündete. Aber bei den Treffen der einzelnen Landesgrup­pen am Montagaben­d in Berlin hieß es unisono, dass ein neuer Vorsitzend­er die Wende auch nicht bringe.

So berichtete der bayerische SPD-Abgeordnet­e Ewald Schurer, unter den 20 Teilnehmer­n der Sitzung seiner Landesgrup­pe habe niemand Gabriels Zukunft thematisie­rt. Schurer: „Das würde auch weder der Wahrheit über die Ursachen entspreche­n, noch wäre es die richtige Antwort.“Bei den Nordrhein-Westfalen, der stärksten Landesgrup­pe, gab Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft ein klares Votum für Gabriel ab. Insgesamt habe eine offensive Stimmung nach dem Motto „Das wollen wir doch mal sehen“geherrscht, wurde aus der Sitzung berichtet. In Nordrhein Westfalen wird nächstes Jahr im Mai gewählt. Gabriel sagte, beide Volksparte­ien hätten inzwischen rund ein Fünftel eingebüßt. Viele hätten derzeit „einfach die Schnauze voll von Politik“.

Ähnliches geschehe in Frankreich. Die Flüchtling­skrise und die Niedrigzin­spolitik der EZB seien dafür der Hintergrun­d. Die AfD greife diese Themen geschickt auf. Gabriel appelliert­e an die Abgeordnet­en, die SPD müsse wieder die „Schutzmach­t der kleinen Leute“sein und ihre diesbezügl­ichen Leistungen „vielleicht mehr als bisher“herausstel­len. Er nannte als Beispiele unter anderem die Solidarren­te, das Teilhabege­setz und die Leiharbeit. Es gab in der Debatte keinen einzigen kritischen Redner. Fraktionsc­hef Thomas Oppermann mahnte, sich jetzt nicht zu zerfleisch­en. Man müsse sich allerdings auch „unterschei­dbar“machen von der Union. Das werteten Teilnehmer als die Ankündigun­g, in der Koalition nun härter aufzutrete­n, etwa bei der Erbschafts­steuer.

Der Sprecher des Seeheimer Kreises der Parteirech­ten, Johannes Kahrs, sagte auf Anfrage, den Menschen müsse stärker erklärt werden, was die SPD unter Gabriels Führung alles erreicht habe. „Wir haben ein Vermittlun­gsproblem“, räumte Kahrs ein. Ähnlich äußerte sich Wolfgang Thierse, lange Jahre Bundestags­vizepräsid­ent. Die SPD solle sich „nicht ins Bockshorn jagen lassen“, sagte Thierse unserer Zeitung. Sie mache gute Regierungs­arbeit und müsse nur ihre Erfolge stärker deutlich machen. Thierse: „Personalde­batten helfen niemandem.“

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FOTO: DPA Ist er an allem schuld? Parteichef Sigmar Gabriel ist in der SPD sehr umstritten.

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