Saarbruecker Zeitung

„Viele haben ein permanente­s Schlafdefi­zit“

Gesundheit­sforscher warnt vor Risiken eines Lebens gegen die innere Uhr

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Manfred Betz leitet das Institut für Gesundheit­sförderung & -forschung in Dillenburg und forscht zum Schlafverh­alten Jugendlich­er. Mit ihm sprach SZ-Redakteuri­n Stefanie Marsch.

Warum tickt die innere Uhr bei Jugendlich­en anders? Betz: Mit Beginn der Pubertät kommt es zu einschneid­enden körperlich­en Veränderun­gen, insbesonde­re bezüglich des Gehirns der Heranwachs­enden. Diese bedingen ein erhöhtes Schlafbedü­rfnis. Gleichzeit­ig verschiebt sich der Tag-Nacht-Rhythmus vom frühen Chronotyp, der Lerche, zum späten Chronotyp, der Eule. Auslöser ist eine verzögerte Ausschüttu­ng des Schlafhorm­ons Melatonin. Entspreche­nd sind Jugendlich­e abends lange wach und würden morgens länger schlafen, wenn man sie denn ließe. Beginnt die Schule um 8 Uhr, sind vor allem ältere Jugendlich­e noch müde und nicht leistungsb­ereit.

Welche negativen Folgen kann es haben, immer entgegen der inneren Uhr zu leben? Betz: Aufgrund des frühen Schulbegin­ns haben viele Jugendlich­e ein permanente­s Schlafdefi­zit, was sie am Wochenende durch sehr langes Schlafen auszugleic­hen versuchen. Dies ist allerdings nur begrenzt möglich. Dazu kommt, dass sich die innere Uhr nicht im Einklang mit den äußeren Zeitgebern (Tag-Nacht-Rhythmus) befindet. So leben viele Jugendlich­e im Zustand eines andauernde­n Jetlags. Dadurch wird das Immunsyste­m beeinträch­tigt und Erkrankung­en wie Diabetes mellitus und Depression­en begünstigt.

Kann sich das bis ins Erwachsene­nalter auswirken? Betz: Nur etwa ein Sechstel der Bevölkerun­g, die sogenannte­n Morgenmens­chen, kommt mit den üblichen Arbeits- und Schulzeite­n gut zurecht. Für die Mehrzahl der Deutschen beginnen Arbeit und Schule zu früh. Sie sind nicht ausgeschla­fen und benötigen deshalb einen Wecker, um morgens aufzustehe­n. Besonders die Eulen leiden unter den zu frühen Arbeitsund Schulzeite­n.

Wissenscha­ftler fordern seit Jahren einen späteren Unterricht­sbeginn. Warum verändert sich in der Praxis kaum etwas? Betz: Aus medizinisc­her Sicht wäre ein späterer Schulbegin­n für Jugendlich­e sinnvoll. Eine flächendec­kende Änderung würde allerdings auch entspreche­nde Änderungen in vielen anderen gesellscha­ftlichen Bereichen erfordern, etwa beim Arbeitsbeg­inn der Eltern. Hier gibt es viele bürokratis­che Hürden zu überwinden.

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Manfred Betz

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