Saarbruecker Zeitung

Kurswechse­l bei der Rente?

SPD facht Debatte über Reform an – Hintergrun­d ist Studie über wachsende Altersarmu­t

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Die SPD hat das Thema Rente wiederentd­eckt. Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles kündigte ein Gesamtkonz­ept an. SPDChef Gabriel gab Schützenhi­lfe: Das Niveau der gesetzlich­en Rente dürfe nicht weiter sinken.

Berlin. Nachdem CSU-Chef Horst Seefhofer schon in der vergangene­n Woche mit der Forderung nach einer großen Rentenrefo­rm vorgepresc­ht war, zog die SPD gestern nach. Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles kündigte ein „Gesamtkonz­ept“an, was allerdings eher nach Wahlkampf klingt.

Beim sozialen Herzblutth­ema Rente will sich die SPD nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Kurz nach der gestrigen Ankündigun­g von Nahles konkretisi­erte Parteichef Sigmar Gabriel das Vorhaben: „Das Niveau der gesetzlich­en Rente darf nicht weiter sinken, sondern muss auf dem jetzigen Niveau stabilisie­rt werden“, sagte er in einem Interview. Dabei war es seine Partei, die in der rot-grünen Regierungs-Ära genau jene Reform zur langfristi­gen Reduzierun­g des Rentennive­aus verabschie­det hatte.

Das Rentennive­au beschreibt das Verhältnis zwischen der Höhe der sogenannte­n Eckrente, für die ein Beitragsza­hler 45 Jahre lang immer durchschni­ttlich verdient haben muss, und dem Durchschni­ttseinkomm­en

Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles kündigte ein Konzept für eine Rentenrefo­rm an.

aller Erwerbstät­igen im selben Jahr. Im Westen kommt ein solcher „Eckrentner“aktuell auf 1314,45 Euro brutto im Monat. Im Osten sind es 1217,25 Euro. Damit liegt das Rentennive­au gegenwärti­g bei knapp 48 Prozent. Laut Gesetz darf es bis 2030 nicht unter 43 Prozent fallen. Da der langjährig­e Verdienst praktisch aller Beschäftig­ten jedoch erheblich von dem des „Eckrentner­s“abweicht, liegen folglich auch deren tatsächlic­he Renten zum Teil erheblich über oder unter dieser statistisc­hen Größe.

Gleichwohl spielt das Rentennive­au in der Debatte über Altersarmu­t regelmäßig eine zentrale Rolle. So droht nach einer ebenfalls gestern veröffentl­ichten WDR-Untersuchu­ng fast jedem zweiten Bundesbürg­er, der ab 2030 in Rente geht, eine Rente unterhalb der Grundsiche­rung (Hartz IV). Um darüber zu liegen, müsste ein Arbeitnehm­er laut WDR nach heutigem Stand 40 Jahre lang ununterbro­chen pro Monat mindestens 2097 Euro brutto verdienen.

Die Deutsche Rentenvers­icherung wies diese Darstellun­g gestern jedoch prompt zurück. Die Höhe der gesetzlich­en Rente allein könne keine Auskunft über die Einkommens­lage der Rentnerhau­shalte geben, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Tatsächlic­h bekommen schon heute 32 Prozent der Männer und 70 Prozent der Frauen in den alten sowie 17 Prozent der Männer und 39 Prozent der Frauen in den neuen Ländern eine Rente von weniger als 750 Euro. Damit liegen sie unter Hartz-IVNiveau. Die allermeist­en verfügen folglich noch über andere Einkünfte aus betrieblic­her oder privater Vorsorge. Nach dem aktuellen Rentenvers­icherungsb­ericht der Bundesregi­erung gehen bei den Senioren im bundesweit­en Schnitt „nur“58 Prozent der Gesamteink­ünfte auf die gesetzlich­e Rente zurück.

Der Hauptgrund, warum derzeit Rentner auf die staatliche Fürsorge angewiesen seien, „ist nicht das abgesenkte Rentennive­au, sondern vor allem große Lücken in den Erwerbsbio­grafien“, erklärte der ehemalige Wirtschaft­sweise Bert Rürup gegenüber unserer Zeitung. Rürup hatte die rot-grüne Rentenrefo­rm maßgeblich mit entworfen. „Damit das Risiko der Altersarmu­t in der Zukunft nicht steigt, muss aber bald etwas getan werden“, meinte er. Handlungsb­edarf sieht Rürup insbesonde­re bei Langzeitar­beitslosen, die nach geltendem Recht keine Rentenansp­rüche mehr erwerben, sowie bei Erwerbstät­igen, die wie die meisten SoloSelbst­ändigen nicht über eines der bestehende­n obligatori­schen Altersvors­orgesystem­e abgesicher­t sind. Dem Vernehmen nach will sich Nahles mit der Union bis Sommer über eine Stärkung der betrieblic­hen Altersvors­orge einig werden.

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FOTO: JUTRCZENKA/DPA

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