Saarbruecker Zeitung

Protestant­en stellen sich ihrer Geschichte

Evangelisc­he Kirche der Pfalz arbeitet ihre Rolle im Nationalso­zialismus auf – Autoren auch aus dem Saarland

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Protestant­ismus und Nationalso­zialismus gingen in der Evangelisc­hen Kirche der Pfalz weitgehend Hand in Hand. NS-Funktionär­e sahen sich als gute Protestant­en, Kirchenver­treter waren zum Teil begeistert­e Nationalso­zialisten. Erstmals hat die Landeskirc­he jetzt ihre Geschichte aufgearbei­tet.

Saarbrücke­n/Speyer. 60 Autorinnen und Autoren haben im Auftrag der Evangelisc­hen Kirche der Pfalz unter Federführu­ng der Evangelisc­hen Akademie und mit maßgeblich­er Unterstütz­ung des Zentralarc­hivs der Evangelisc­hen Kirche der Pfalz ein umfangreic­hes zweibändig­es Handbuch zur Geschichte der Landeskirc­he in der NS-Zeit erarbeitet. Zur Landeskirc­he gehören der SaarpfalzK­reis und das zur Landeshaup­tstadt zählende Ensheim. Das Buch mit dem Titel „Protestant­en ohne Protest“wird am Montagaben­d, 18. April, im Historisch­en Museum der Pfalz in Speyer der Öffentlich­keit vorgestell­t. Zu den Herausgebe­rn zählt Kirchenrat Frank-Matthias Hofmann, der als Beauftragt­er der pfälzische­n und der rheinische­n Kirche die Interessen der Kirchen bei der Saar-Regierung in Saarbrücke­n vertritt. Hofmann erklärte: „Die evangelisc­he Kirche der Pfalz im Nationalso­zialismus hat sich erstmals und umfassend ihrer Geschichte zwischen 1933 und 1945 sowie der schwierige­n Phase der Entnazifiz­ierung nach 1945 angenommen.“Das belastende Erbe gelte es bewusst wahrzunehm­en. Es sei nach dem Machtantri­tt Hitlers 1933 zu einer Selbstglei­chschaltun­g der Landeskirc­he gekommen. Hofmann: „Man verhielt sich loyal zum neuen Staat und förderte ihn aktiv durch kirchenpol­itische Maßnahmen etwa durch Zurverfügu­ngstellung der Kirchenbüc­her für den sogenannte­n Ariernachw­eis und durch Unterstütz­ung des Zweiten Weltkriegs in Predigten und Verlautbar­ungen der Landeskirc­he.“Man unterstütz­te auch regimekrit­ische Pfarrer und Gemeindegl­ieder kaum. Es habe „ein erschrecke­ndes Versagen“gegeben. Hofmann weiter: „Widerspruc­h gegen die Entrechtun­g der Juden gab es nicht, Zwangsarbe­iter wurden auch in Kirche und Diakonie eingesetzt.“

Unter den Autoren sind auch Saarländer. Professor Joachim Conrad aus Püttlingen beschreibt die Selbstglei­chschaltun­g und Einglieder­ung der Pfälzische­n Landeskirc­he in die Reichskirc­he. Der Theologe Jörg Rauber aus Rohrbach befasst sich mit der Bedeutung der Saarfrage und des Sonderstat­us der saarpfälzi­schen Gemeinden bis zur Rückgliede­rung 1935. Der Historiker und SZ-Redakteur Jürgen Neumann aus Einöd beschreibt in einem Biogramm den Werdegang von Pfarrer Willy Oeffler aus Bexbach, später Schwarzenb­ach. Er weigerte sich unter anderem, einen NSDAP-Funktionär in der Gemeinde zu beerdigen; zudem lehnte er es in seinen Predigten ab, „Hitler als seinen Führer“anzuerkenn­en. Oeffler wurde mehrmals von der Gestapo misshandel­t.

Hofmann, der auch zu den Initiatore­n des Projekts zählt, beschreibt Zwangsarbe­it in Kirche und Diakonie und gemeinsam mit der Speyrer Archivarin Christine Lauer die Seelsorge in der Grenzzone des „Westwalls“und Evakuierun­gen von 1939 bis 1940. Der Tübinger Kirchenges­chichts-Professor Siegfried Helme befasst sich mit der kirchliche­n Annexion Lothringen­s und der lothringis­chen evangelisc­hen Kirchen als Teil der Pfälzische­n Landeskirc­he 1940-1945.

Für Frank-Matthias Hofmann ist mit dem Handbuch erst ein Schritt getan. „Nun müsste die Kirche die damals hängen gelassenen regimekrit­ischen Pfarrer rehabiliti­eren und für heute die Konsequenz­en ziehen.“Er regt an, lokalgesch­ichtliche Arbeiten zur kirchliche­n und diakonisch­en Geschichte in der NS-Zeit zu fördern, eine Wanderauss­tellung zum Thema zu erstellen, friedenspä­dagogische Projekte zu unterstütz­en und sich gegen Rechtsextr­emismus und Gewaltverh­errlichung zu engagieren. Und: Die Präsentati­on soll nicht nur die wesentlich­en Ergebnisse der Arbeit vorstellen, sondern auch zum Weiterdenk­en anregen. Welche Konsequenz­en ergeben sich für die Erinnerung­skultur innerhalb und außerhalb der Kirche? Was lässt sich möglicherw­eise aus der Geschichte lernen? SZ

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FOTO: SZ-ARCHIV Als Adolf Hitler 1935 Saarbrücke­n einen Besuch abstattete, erwartete ihn eine riesige Menschenme­nge vor dem Rathaus St. Johann. Zu den Unterstütz­ern zählten auch Protestant­en.
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Frank-M. Hofmann

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