Saarbruecker Zeitung

Sir Simon und die „Planeten von Türkis“

Ein furioses Konzert in der Luxemburge­r Philharmon­ie mit Simon Rattle und dem London Symphony Orchestra

- Von SZ-Mitarbeite­r Hans Bünte

Simon Rattle, der scheidende Chef der Berliner Philharmon­iker, hat sich am Montagaben­d in der vollbesetz­ten Luxemburge­r Philharmon­ie mit seinem künftigen Ensemble vorgestell­t: dem London Symphony Orchestra.

Luxemburg. Mit „Couleurs de la Cité Céleste“(Farben der himmlische­n Stadt) von Olivier Messiaen beginnt Rattle das Konzert – ein Stück, das ein bekanntes Problem mit diesem Komponiste­n deutlich macht: die Überfracht­ung seiner Werke mit außermusik­alischen Motiven. „Flammend und unsichtbar“sollte dieses Stück sein „wie die farbenpräc­htige Rosette einer mittelalte­rlichen Kathedrale“; „blauorange­ne Lavaströme“und „Planeten von Türkis“sah er vor sich und zitierte Texte aus der Apokalypse. Und was von all dem hört

Sir Simon Rattle inmitten der Musiker des London Symphony Orchestra.

der naive Konzertbes­ucher? Schneidend dissonante Bläserakko­rde, grelle Schlagzeug-Staccati, mystische Gongs, Klavierkas­kaden und atonale Choralfrag­mente. Doch seltsam: Wenn die drei Xylophone so schlafwand­lerisch synchron spielen wie hier, wenn die Bläsermisc­hungen so farbig gelingen, ein Pianist wie PierreLaur­ent Aimard die schwierige Klavierpar­tie so virtuos meistert und die häufigen Generalpau­sen so spannungsg­eladen realisiert werden, dann erliegt der Hörer jener Suggestion, die Messiaen eigen ist. Bemerkensw­ert, wie sicher das mit Zeitgenöss­ischer Musik vertraute Orchester mit dem Stück fertig wird, während Simon Rattle sich nicht von der Partitur lösen kann.

Das ändert sich auf seinem vertrauter­en Terrain, bei Bruckners 8. Sinfonie. Zunächst irritiert die Orchestera­ufstellung: Celli links, Hörner rechts, Pauke rechts außen. Doch die Kontrabäss­e nebeneinan­der an der Rückfront bewirken einen phantastis­chen Orgeleffek­t. Nun kann man alle Register dieses Ensembles studieren, das als bestes in England bewertet wird, vor allem den üppigen Streicherk­lang, die homogenen Bläsersätz­e und das disziplini­erte Zusammensp­iel. Wobei man überrascht auch kleine Schwächen konstatier­t, die Rattle von seinen Berlinern nicht kennt. Insgesamt jedoch ein Meisterins­trument, mit dem er, das Riesenwerk auswendig und mit sparsamen Gesten dirigieren­d, in allen Facetten musizieren kann. Als er im Adagio aus einem geisterhaf­ten Pianissimo heraus eine lange Steigerung auf den Gipfel führte, da „flammt“jenes Kirchenfen­ster auf, von dem Messiaen geträumt hatte, und der Sinn dieser Konfrontat­ion mit Bruckner wird erkennbar. Beifall und stehende Ovationen für Dirigent und Orchester.

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FOTO: SÉBASTIEN GRÉBILLE / PHILHARMON­IE

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