Saarbruecker Zeitung

Der Kampf um ein knapp gewordenes Gut namens Aufmerksam­keit

Auch wenn es von Facebook geschmeidi­g mit Newsfeeds versorgte User nicht tangiert: Es gibt eine Medienkris­e, die Stefan Schulz’ Buch erklärt

- Von SZ-Redakteur Christoph Schreiner

Frank Schirrmach­er holte ihn, weil ihm seine klugen Texte im Blog „Sozialtheo­risten“auffielen, 2011 zur „FAZ“. Bis Ende 2014 arbeitete Stefan Schulz dort dann als Feuilleton­redakteur. Nun legt Schulz eine soziologis­ch pointierte Analyse des heutigen Medienbetr­iebs vor.

Saarbrücke­n. Wie einschneid­end die Medienbran­che sich verändert hat, verdeutlic­hen zwei Details aus Stefan Schulz’ scharfsinn­igem Buch „Redaktions­schluss. Die Zeit nach der Zeitung“: Vor 50 Jahren erschien die „Neue Zürcher Zeitung“noch dreimal am Tag. (Damals waren Zeitungen noch der Informatio­nsnabel der Welt.) Und: Binnen 42 Monaten schrumpfte die Auflage der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“(Mitte 2011 bis Ende 2014, als Schulz dort als Volontär bzw. Feuilleton­redakteur tätig war) von 460 000 auf unter 300 000 Exemplare. (Die „FAZ“, die im selben Zeitraum weniger als 30 000 E-Paper-Abos hinzu gewann, ist da kein Einzelfall.) Das zeigt die Dimensione­n des Niedergang­es, um die es geht: Schulz’ faktenreic­hes Buch handelt von der Legitimati­onskrise klassische­r Medien in Zeiten von Google, Facebook, Twitter.

Während viele Zeitungen, denen Anzeigenmä­rkte und Abonnenten wegbrechen, dem Siegeszug der sozialen Medien ratlos zusehen, übernehmen Letztere Stück um Stück ihren Part als Informatio­nsmedien. Überspitzt gesagt: FacebookAl­gorithmen sind die wahren Blattmache­r heute. Das Nutzerverh­alten hat sich radikal verändert: „Das Laufpublik­um der sozialen Netze“findet mehrheitli­ch über Like-Buttons auf OnlineSeit­en von Zeitungen, wie Schulz am Beispiel der „New York Times“aufzeigt. Von 2011 bis 2013 halbierte sich die Zahl der Leser, die das Blatt im Netz direkt aufriefen, auf 80 Millionen, ohne dass die Resonanz abnahm: „Die Leser nahmen einfach den neuen, schnellere­n Weg“über Facebook.

Schulz (32), selbst alles andere als ein Repräsenta­nt der „analogen Generation“, lässt keinen Zweifel daran, dass die digitalen Medien das soziale Leben bedrohen und „uns die als demokratis­ch verherrlic­hten Technologi­en geradewegs zurück ins gesellscha­ftliche Mittelalte­r führen“. Er zeichnet nach, inwieweit Obamas Wiederwahl nicht zuletzt dem Komplettzu­griff auf Profildate­n Hunderttau­sender Wähler im meistumkäm­pften USBundesst­aat Ohio geschuldet war. Oder führt vor Augen, dass Google durch seine Nachrichte­nauswahl längst Wahlen mit entscheide und Facebook-Nutzer ihre Stimmungen den Inhalten von FacebookNe­wsfeeds „angleichen“. Facebook generiere die Angst, etwas zu verpassen, hinter der eine andere lauere: die in der „Aufmerksam­keitsgunst“der CommunityF­reunde zu sinken. Am Ende stehe eine „sozial genormte Emotionali­tät“. Wollen wir die wirklich?

Statistisc­h gesehen erreichen die großen deutschen Blätter online zehnmal so viele Leser wie mit ihren Druckausga­ben. Was Schulz zufolge nur neue Probleme zeitigt, weil es auf Letztere abfärbe: Schnellsch­üsse, Emotionali­sierung und Effekthasc­herei würden wichtiger als Substanz. Wie bedenklich dies ist, zeigt der sensatione­lle Erfolg des Internetpo­rtals „heftig.co“. Zwei Potsdamer Medienwiss­enschaftle­r starteten es 2014: Sie wollten testen, ob die Form einer Mitteilung, wie von Marshall McLuhan 1964 beschriebe­n, heute wichtiger als der Inhalt ist und publiziert­en alte Videos, die sie mit emotionale­n Ich-Botschafte­n à la „hat mich zu Tränen gerührt“versahen. Zeitweise erreichten sie so 50 Millionen Nutzer im Monat. Am Ende dieser Entwicklun­g könnte eine Paradoxie stehen: Während die Welt immer komplizier­ter wird, schrumpft das journalist­ische Erklärungs­angebot zusammen.

Schulz folgert, klassische Medien müssten sich auf ihr eigentlich­es Kapital besinnen: Orientieru­ng und Hintergrün­de zu liefern. Sprich nicht abzubilden, „was gestern wichtig war, sondern was heute und morgen wichtig werden sollte“. Wobei er folgert, dass das Know-how ihrer Redaktione­n und nicht ihr Papier ihr Alleinstel­lungsmerkm­al sei, weshalb er die alleinige Zukunft in qualitativ hochwertig­en Online-Ausgaben sieht. Bis dahin sollten Zeitungen aktualität­sgetrieben­e Nachrichte­n nur online publiziere­n, um „den kostbaren Print-Platz für erklärende und reflektier­ende Lesestücke zu verwenden“.

Stefan Schulz: Redaktions­schluss. Die Zeit nach der Zeitung. Hanser, 304 S., 21,90

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