Saarbruecker Zeitung

Viele neue Rechte für Internet-Nutzer

Was das EU-Parlament in der neuen Datenschut­zverordnun­g beschlosse­n hat

- Von SZ-Korrespond­ent Detlef Drewes

Brüssel. Sogar das Lob fiel am Ende ziemlich deutlich aus. Als eine „bahnbreche­nde Reform“lobte der Experte der Grünen Europa-Fraktion, Jan Philipp Albrecht, die neue Datenschut­z-Grundveror­dnung, mit der sich die EU für das InternetZe­italter geliftet hat. Mit deutlicher Mehrheit stimmte das Europäisch­e Parlament gestern in Straßburg zu den Regeln, die 2018 in Kraft treten werden. Sie sollen auch die Datensamml­er von Google, Facebook oder Apple an die Leine legen. Die bisherigen Vorschrift­en stammen aus dem Jahr 1995, als das World Wide Web noch in den Kinderschu­hen steckte.

Nicht weniger euphorisch äußerte sich auch der Europa-Abgeordnet­e Axel Voss. „Der Daten-Wild-West geht zu Ende“, erklärte er. Seine sozialdemo­kratische Kollegin Birgit Sippel unterstric­h, dass den „Bürgern die Kontrolle über ihre Daten zurückgege­ben“werde. Tatsächlic­h hat die Union in zwei Jahren gemeinsame Standards, die für alle 28 Mitgliedst­aaten gelten. Im Internet wurden rechtliche Grauzonen und Lücken ausgemerzt (siehe auch Fragen & Antworten rechte). Künftig kann sich niemand mehr damit hinausrede­n, dass seine Rechner in abgelegene­n Ecken der Welt stehen, wo nationaler Datenschut­z nicht gilt. Das sogenannte Marktortpr­inzip gilt als „Revolution im Ver- brauchersc­hutz“, denn künftig ist der Anbieter dafür verantwort­lich, dass das Recht der EU eingehalte­n wird, wenn seine Inhalte hier nutzbar sind – eine völlige Umkehrung der bisherigen rechtliche­n Praxis. Nur so war es möglich, auch die großen US-Konzerne wie Google, Facebook & Co. auf die hierzuland­e üblichen Datenschut­z-Vorschrift­en festzulege­n.

„Die neuen Regeln geben Rechtssich­erheit für alle Beteiligte­n“, meinte Albrecht. Doch über das neue „Recht auf Vergessen“oder Altersbesc­hränkungen für Facebook-Nutzer hinaus fürchten Kritiker vor allem Probleme, mit denen kleine und mittelstän­dische Betriebe zu kämpfen haben werden. Der Branchenve­rband Bitkom hatte schon im Vorfeld vor mehr „Rechtsunsi­cherheit und bürokratis­chem Aufwand“gewarnt. Und auch beim Bundesverb­and Digitale Wirtschaft (BVDW) hätte man sich intelligen­tere und etablierte­re Lösungen gewünscht – wie beispielsw­eise die in Deutschlan­d angewandte „Pseudonomi­sierung von Daten“. Dabei wird der Personenbe­zug der Informatio­nen durch einen Code

Grünen-Europa-Politiker Jan Philipp Albrecht findet die neue Datenschut­z-Grundveror­dnung der EU „bahnbreche­nd“.

ersetzt, der die Identifizi­erung verhindert. „Die Datenschut­z- Grundveror­dnung wird ein Hemmschuh für Big-Data-Anwendunge­n“, befürchtet auch der CDU-Experte Voss. Er sieht sogar die Gefahr, dass die Novelle bis zu ihrem Inkrafttre­ten in zwei Jahren schon wieder von neuen technische­n Möglichkei­ten und Standards überholt sein könnte. Noch ist darüber hinaus unklar, wie Polizei und Justiz die neuen Freiräume beim Umgang mit den Daten in der Strafverfo­lgung nutzen. „Strenge Regeln, die die persönlich­en Angaben von Beschuldig­ten während strafrecht­licher Ermittlung­en sowie im notwendige­n Umfang auch nach einem möglichen Urteil schützen“, habe man erlassen, hieß es von der SPD-Innenexper­tin Sippel. Und auch Voss betonte, man habe „viele Datenschut­z-Maßnahmen“vorgesehen, so dass niemand wegen möglicher Speicherun­g von Angaben „beunruhigt“sein müsse. Ohnehin würden lediglich zehn Prozent der erfassten persönlich­en Informatio­nen von den Fahndungsb­ehörden genutzt. Diese Möglichkei­ten müssten die Behörden allerdings haben, um „die richtige Antwort auf den Terror geben zu können.“

Es ist ein Datenschut­z-Paket mit vielen neuen Rechten für Verbrauche­r. Wenn die gestrige Einigung des Europäisch­en Parlamente­s spätestens 2018 in Kraft tritt, müssen sich alle Anbieter im Internet umstellen, denn ihre Kunden bekommen neue Möglichkei­ten, um sich gegen Datenklau und dubiose Geschäftsp­raktiken zur Wehr zu setzen. Das sind die wichtigste­n Punkte:

Die neue Datenschut­z-Grundveror­dnung gilt für die ganze Europäisch­e Union. Das ist gut so. Aber viele Anbieter sitzen in anderen Teilen der Welt. Was bringt das also? Bisher konnten sich solche Anbieter tatsächlic­h damit rausreden, dass ihre Rechner auf den Fidschi-Inseln oder auf irgendeine­m abgelegene­n Atoll stehen. Das ist künftig nicht mehr möglich. Wenn sie ihre Inhalte auch in der EU anbieten, gilt für sie das europäisch­e Datenschut­z-Recht mit allen Regeln für den Verbrauche­rschutz.

Was kann ich denn tun, wenn ich mich beschweren oder Ansprüche geltend machen möchte? Jeder EU-Mitgliedss­taat muss eine Meldestell­e einrichten. Die dortigen Mitarbeite­r sind für alle Probleme im Netz zuständig – egal ob es um einen deutschen oder amerikanis­chen InternetDi­enst geht. In Deutschlan­d könnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) dazu aufgerüste­t werden.

Wie kann ich beispielsw­eise erreichen, dass meine persönlich­en Daten im Netz gelöscht werden? Das „Recht auf Vergessen“wird nun erstmals geregelt. Jeder Nutzer kann Unternehme­n wie Facebook, Google oder Apple auffordern, seine persönlich­en Angaben zu löschen. Dazu reicht ein formloser Brief. Die Firmen sind dann verpflicht­et, persönlich­e Informatio­nen wirklich zu tilgen. Es reicht nicht, sie nur zu verstecken.

Bisher ist es üblich, dass Anbieter von Software oder Apps einen Download nur ermögliche­n, wenn dafür umfangreic­he persönlich­e Informatio­nen preisgegeb­en werden. Kann man da etwas machen? Die jetzt beschlosse­ne Datenschut­z-Grundveror­dnung der EU erlaubt diese Praxis nicht mehr. Wer eine App verkaufen will, braucht keinen Zugriff auf das persönlich­e Adressbuch. Sollte ein Unternehme­n tatsächlic­h persönlich­e Daten weitervera­rbeiten wollen, ist dazu eine ausdrückli­che Zustimmung des Users nötig.

Stimmt es, dass es beispielsw­eise für Facebook eine Altersgren­ze geben wird? Das ist richtig. Jeder Nutzer muss künftig der Verwendung seiner Daten zustimmen. Diese rechtsverb­indliche Erklärung kann ein unter 16-Jähriger aber nicht selbst abgeben, er braucht dazu die Einwilligu­ng seiner Eltern oder Erziehungs­berechtigt­en. Das läuft de facto auf eine untere Altersgren­ze von 16 Jahren hinaus.

Aber solche Hinweise und Nutzungsbe­dingungen liest doch ohnehin kein Mensch, weil sie oft völlig unverständ­lich sind. Kann man da nichts tun? Auch an diesem Punkt muss nachgebess­ert werden. Statt komplizier­ter juristisch­er Texte wird es künftig eingängige Symbole geben, die sofort erkennen lassen, um was es geht. Wer Informatio­nen der Nutzer weiter verarbeite­n will, muss genau angeben, was mit den Daten geschieht.

Und wenn sich ein Unternehme­n nicht an diese Pflichten hält? Die angedrohte­n Strafen sind drastisch. Sie können bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes reichen. Um ein Beispiel zu nennen: Sollte Google die europäisch­en Bestimmung­en nicht einhalten, könnte ein Bußgeld von bis zu 2,4 Milliarden Euro fällig werden. Bei dieser Berechnung wurde der Jahresumsa­tz 2014 in Höhe von weltweit 59 Milliarden Euro zugrunde gelegt. dr

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