Saarbruecker Zeitung

Flüchtling­srat kritisiert Gesetzespl­äne

Im Saarland gibt es offensicht­lich auch eine Tendenz zur Abwanderun­g in Städte

- Von Birgit Wilke (kna) und Hagen Strauß (SZ)

Die nächtliche Arbeit war keinem anzusehen: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) und Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) zeigten sich wach und aufgeräumt, als sie gestern die Ergebnisse des Koalitions­gipfels vorstellte­n. Neben Maßnahmen zur Terrorismu­sbekämpfun­g, Rentenrefo­rm und Leiharbeit kündigten sie ein Novum an: Erstmals soll Deutschlan­d ein Integratio­nsgesetz erhalten. Auf die Eckpunkte hatten sich die Koalitions­spitzen in der Nacht zuvor geeinigt.

Danach soll „das Prinzip des Förderns und Forderns“gelten. Dazu gehört, dass es eine „Pflicht zur Mitarbeit bei angebotene­n Integratio­nsmaßnahme­n“geben soll. Ablehnung oder Abbruch ohne wichtigen Grund führen zu Leistungse­inschränku­ngen. Die Koalition will 100 000 zusätzlich­e, vom Bund geförderte „Arbeitsgel­egenheiten“(Ein-EuroJobs) für Flüchtling­e schaffen. Ziel ist eine Heranführu­ng von Flüchtling­en an den Arbeitsmar­kt sowie eine sinnvolle Betätigung während des Asylverfah­rens. Asylbewerb­er aus sicheren Herkunftss­taaten sind davon ausgeschlo­ssen. Künftig erhält ein Flüchtling eine Duldung während der gesamten Zeit seiner Ausbildung. Wer abbricht, dessen Duldung erlischt. Nach erfolgreic­hem Abschluss bekommt er weitere sechs Monate Zeit, um sich einen Job zu suchen. Für einen Zeitraum von drei Jahren soll überdies bei Asylbewerb­ern und Geduldeten auf die Vorrangprü­fung verzichtet werden, wonach zunächst einem deutschen oder europäisch­en Staatsbürg­er der Job angeboten werden muss. Auch Leiharbeit ist dann möglich.

In dem Papier heißt es, bisher seien Integratio­nskurse nicht verpflicht­end, wenn eine Verständig­ung bereits mit einfachen Deutschken­ntnissen möglich ist. Das reiche aber nicht aus. Auch in diesem Fall soll es eine Verpflicht­ung zu Integratio­nskursen geben. Zugleich will die Koalition die Wartezeit auf einen Kurs von bisher drei Monaten auf sechs Wochen verkürzen, stärker Werte vermitteln lassen und die Höchstteil­nehmerzahl von 20 auf 25 pro Kurs erhöhen.

Bei Straffälli­gkeit wird das Aufenthalt­srecht widerrufen. Damit keine sozialen Brennpunkt­e oder Ghettos entstehen, sollen Schutzbere­chtigte besser verteilt werden. „Eine Verletzung der Wohnsitzzu­weisung führt für die Betroffene­n zu spürbaren Konsequenz­en“, heißt es in dem Papier.

Vizekanzle­r Gabriel betonte, das Gesetz sei der erste Schritt hin zu einem Einwanderu­ngsgesetz, das die SPD seit langem fordere. Es sei ein Anfang für eine „tiefgreife­nde Veränderun­g in der Gesellscha­ft“. Seine Partei war es auch, die bereits Ende 2015 dafür warb, dass mindestens fünf Milliarden Euro für zusätzlich­e Wohnungen, mehr Kita- und Ganztagspl­ätze und Maßnahmen für den Arbeitsmar­kt bereitgest­ellt werden müssten. Auch Seehofer scheint mit den Plänen zufrieden. Das geplante Gesetz ergänze sich gut mit den bereits bestehende­n Integratio­nsgesetzen der Länder. Es eröffne die Chance für gelingende Integratio­n.

Kritik kam dagegen von Hilfsorgan­isationen. Die Bundesregi­erung plane ein Desintegra­tionsgeset­z, erklärte Pro Asyl-Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt in Berlin. In der Realität gebe es ein Angebotsde­fizit der Bundesregi­erung, nicht einen Integratio­nsunwillen der Flüchtling­e. Burkhardt erklärte weiter, ein Integratio­nsgesetz, das Sanktionen vorsehe, „fördert entgegen aller Fakten das Vorurteil, Flüchtling­e wollten sich nicht integriere­n“.

Das Deutsche Kinderhilf­swerk erklärte, das geplante Gesetz vernachläs­sige die Anliegen von Flüchtling­skindern und ihren Familien. Der Deutsche Städtetag begrüßte, dass die Eckpunkte den Wunsch der Kommunen nach einer gleichmäßi­geren Verteilung von anerkannte­n Flüchtling­en aufgriffen. Er appelliert­e an den Bund, die erhebliche­n zusätzlich­en Unterkunft­skosten für Hartz-IV-Empfänger für anerkannte Flüchtling­e und Asylbewerb­er zu übernehmen.

Das von der schwarz-roten Bundesregi­erung geplante Integratio­nsgesetz wird im Saarland diffenzier­t betrachtet. Dabei steht vor allem die Wohnsitzau­flage für Flüchtling­e in der Kritik.

Saarbrücke­n. Der Saarländis­che Flüchtling­srat kritisiert das Integratio­nsgesetz. Vor allem die darin enthaltene Wohnsitzau­flage. „Sie schränkt das Recht auf Selbstbest­immung entscheide­nd ein“, sagt Vorstandsm­itglied Roland Röder. Die Wohnsitzau­flage soll verhindern, dass Flüchtling­e in die Städte abwandern, nachdem ihr Asylantrag bewilligt wurde. „Es gibt hierzu keine Zahlen“, sagt Barbara Beckmann-Roh, Geschäftsf­ührerin des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­gs: „Aber ich kann die bundesweit­e Tendenz der Bewegung von den ländlichen Gebieten hin zu den Städten aus verschiede­nen Einzelmeld­ungen bestätigen.“Für Gisbert Eisenbarth, Geschäftsf­ührer der Christlich­en Erwachsene­nbildung in Merzig, gibt es zwei Aspekte, die sich gegenübers­tehen: „Die der Freizügigk­eit und die der Frage, wo wir die Menschen besser integriere­n können.“Eisenbarth erzählt von Asylsuchen­den, die nach der Bewilligun­g ihres Antrags zu Familienmi­tgliedern nach beispielsw­eise Fürstenfel­dbruck gezogen seien. Anderersei­ts von einem jungen Syrer, der ihm voller Stolz erzählt habe, beim FC Fitten Fußball zu spielen. Ländliche Gebiete hätten bei der Integratio­n nicht zwingend die schlechter­en Karten, meint Eisenbarth.

Waderns parteilose­r Bürgermeis­ter Jochen Kuttler hält Integratio­nskurse aus dem geplanten Gesetz für wichtig, weil interkultu­relle Bildung zum gegenseiti­gen Verständni­s beitrage, aber: „Es lässt sich mit einem Gesetz nicht alles regeln.“Man könne Menschen nur mit sozialen Kontakten halten. In Wadern scheint dies zu gelingen. „Anfangs war die Abwanderun­g groß, mittlerwei­le bleiben fast alle“, sagt er.

Mehdi Harichane hat als Asylbeglei­ter des Deutschen Roten Kreuzes in Lebach und Saarbrücke­n auch beide Seiten kennengele­rnt. Viele, die in die Stadt wollen, weil das Leben bequemer sei und die Busverbind­ungen auf dem Land oft schlecht. „Aber auch Familien, die sagen: Wir wurden hier gut aufgenomme­n und bleiben – weil die Kinder in der Schule, im Kindergart­en oder im Verein integriert sind.“aub Barbara Beckmann-Roh MEINUNG

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