Putins „direkter Draht“zu den Russen
Die Inszenierung einer Bürgersprechstunde per TV mit handverlesenen Fragestellern
Preissteigerungen und Lohnkürzungen machen vielen Russen zu schaffen. Doch in seiner jährlichen Ein-Mann-Show verbreitet Präsident Putin Optimismus.
Moskau. Wenn Wladimir Putin zum Volk spricht, läuft die vom Kreml kontrollierte Medienmaschinerie auf Hochtouren. Gleich mehrere landesweite Fernsehkanäle übertragen am Donnerstag die fast vierstündige Show „Direkter Draht“live. Wladimir Putin war bester Laune, sah erholt aus und schien an den PanamaPapers nicht zu leiden. Dem Publikum vermittelte er den Eindruck, die Krise dürfte zwar noch anhalten, doch mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes von 0,3 Prozent 2016 sei das Maß noch erträglich. Putin weigert sich, die Einsicht einer systemischen Krise zuzulassen. Auch das Publikum murrte nicht.
Wie immer war der Doktor der Wirtschaftswissenschaften bestens präpariert. Gegenüber dem Westen und der Ukraine wiederholte er nur bekannte Positionen. Gegenüber den USA gab sich Wladimir Putin gemäßigt. Die Regierung in Washington müsse sich von ihren Großmacht-Ambitionen verabschieden und Moskau als gleichwertigen Partner akzeptieren. Bei Themen wie dem Kampf gegen den Terrorismus, dem iranischen Atomprogramm und Abrüstung sei dies trotz aller Differenzen auch gelungen.
Bei den Panama-Papers, deren Erwähnung der Kreml eingeplant hatte, schrieb Putin den USA gleichwohl die Rolle des Hinterlistigen zu: „Wir wissen, dass Mitarbeiter der amerikanischen Institutionen damit zu tun haben“, so Putin. Auch bei der „Süddeutschen Zeitung“, die zum Recherchekonsortium gehört, will er eine US-Spur entdeckt haben.
Diesmal galt die Aufmerksamkeit des Therapeuten vor allem Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise im Innern. Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen und ausbleibende Lohnzahlungen nahmen viel Zeit ein. Nun darf man sich dies aber nicht wie einen offenen Schlagabtausch vorstellen. Die Zeitung RBK berichtete, dass die handverlesenen Fragesteller zwei Tage in einem Erholungsheim der Präsidialadministration am Rande Moskaus auf Fragen und Verhalten vorbereitet wurden. Sie durften auch vor der
MEINUNG
PWladimir Putin räsident Putin hat alles im Griff. Diesen Eindruck vermittelte der Kremlchef auch bei seinem 14. „Direkten Draht“. Wer nicht – wie der misstrauische Durchschnittsrusse – grundsätzlich an allem zweifelt, geht diesem Schauspiel auf den Leim. Kurzum, es ist die große Kunst des russischen Theaters, die immer dann über sich hinauswächst, wenn sich tektonische Veranstaltung nicht nach Moskau fahren. Vor allem war ihnen aber aufgetragen worden, mit niemandem „auch nicht mit Verwandten über die Vorbereitungen zu sprechen“, schrieb RBK.
Laut Kreml hatte die Bevölkerung im Vorfeld auf der Kreml-Website die meisten Fragen zum Zustand der Straßen und der leidigen kommunalen Wohnungswirtschaft gestellt. Rubelverfall und Krise hätte die Menschen weniger interessiert. Dem folgte auch die Inszenierung der Putin-Show. Eine Meinungsumfrage stellte unterdessen diese Woche fest, dass Krise, Rubel, Ölpreisverfall und die Strategie, mit der der Kreml der Malaise zu entkommen gedenke, den Fragestellern heftig unter den Nägeln brannte. don/dpa