Saarbruecker Zeitung

Junge Deutsche mögen’s angepasst und kuschelig

Report zeigt eine Generation auf Tuchfühlun­g zu den Eltern

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Strebsam, angepasst und tolerant – Deutschlan­ds Jugend will vor allem eins: nicht auffallen. Wichtig ist den 14- bis 17-Jährigen die Geborgenhe­it im Elternhaus, wie eine neue Studie zeigt. Provokatio­n fällt deshalb aus.

Berlin. Rebellion war vorgestern: Teenager in Deutschlan­d suchen stattdesse­n den engen Schultersc­hluss mit der Elterngene­ration. Und am liebsten möchten sie sein wie alle anderen. Das sind zentrale Ergebnisse der neuen Sinus-Jugendstud­ie, die gestern vorgestell­t wurde. Für soziale Absicherun­g nähmen die Jugendlich­en eine noch größere Nähe zur Welt der Erwachsene­n in Kauf als die „Generation Golf“ vor ihnen, erklärte der Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann. „Das geht schon in Richtung Überanpass­ung.“

Überrascht hat die Forscher das hohe Maß an Toleranz bei den befragten 14- bis 17-Jährigen. Von Zuwanderun­g bis Religion wachse die Akzeptanz von Vielfalt, sagte Studienaut­or Marc Calmbach. Der ungewöhnli­che Kuschelkur­s der Jugendlich­en, den es so seit der Nachkriegs­zeit nicht mehr gab, sei aber kein Zeichen von Bequemlich­keit. Vielmehr werten die Experten die spürbare Sehnsucht nach Halt und Geborgenhe­it als Reaktion auf Wirtschaft­skrisen, Terrorgefa­hr und eine unübersich­tlicher werdende Welt. Das Streben nach Abgrenzung bleibt deshalb auf der Strecke, die Teenager bauen auf gemeinsame Werte wie Freiheit und Offenheit. Ganz oben auf ihrer Wunschlist­e stehen Geborgenhe­it, Familie, Sicherheit und Wohlstand. Für die Planbarkei­t von Leben und Karriere nehmen Jugendlich­e klassische Tugenden wie Pflichterf­üllung in Kauf. Auf Spaß verzichten sie aber nicht völlig. „Hart feiern, aber gute Noten“, lautet ein Credo. Überrasche­nd auch, dass die Faszinatio­n von Internet und Smartphone bröckelt: Der Umgang mit den eigenen Daten ist zunehmend kritisch und selbstbest­immt. >

Theo Koch arbeitet seit vielen Jahren mit Jugendlich­en. Die aktuelle Entwicklun­g sieht er mit Besorgnis. SZ-Redakteuri­n Stefanie Marsch sprach mit dem Geschäftsf­ührer von Juz United, dem Verband saarländis­cher Jugendzent­ren in Selbstverw­altung.

Herr Koch, Revolution war gestern, sagt die neue Sinus-Studie. Jugendlich­e seien heutzutage eher angepasst. Ist das eine Entwicklun­g, die Sie in ihrer Arbeit auch erleben? Koch: Das kann man tatsächlic­h so beobachten. Und man muss sich fragen, warum das so ist. Eigentlich ist Jugend ja definiert als eine Alterspann­e, in der Experiment­e stattfinde­n sollen, aber das ermöglicht die Gesellscha­ft gar nicht mehr. Jugend ist heute so eingehegt von Normen und Regeln, von behütenden Institutio­nen, da bleibt kaum Freiraum, Dinge auszuprobi­eren und auch mal auf die Schnauze zu fliegen.

Theo Koch

Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g? Koch: Ich finde, sie gibt Grund zur Besorgnis. Schließlic­h hat die Jugend immer auch eine gesellscha­ftserneuer­nde Funktion gehabt. Die geht aber immer mehr verloren. Die Gesellscha­ft muss sich fragen, ob sie das wirklich will. Eine Jugend, die nur noch funktionie­rt und das reproduzie­rt, was die Erwachsene­n vorgeben – oder doch lieber eine, die rebelliert und Veränderun­gen anstößt.

Sehen Sie Grund für die Jugendlich­en, zu rebelliere­n? Koch: Auf jeden Fall. Es gibt extrem viele Reibungspu­nkte für Jugendlich­e, gerade was die Zukunftspe­rspektiven angeht. Viele junge Menschen – etwa 20 Prozent – haben heute kaum Aufstiegsc­hancen. Sie hätten Grund, dagegen aufzubegeh­ren. Stattdesse­n passen sie sich an in der Hoffnung auf Sicherheit. Das liegt auch daran, dass man den Jugendlich­en signalisie­rt, dass sie keine Möglichkei­t haben, etwas zu verändern. Das ist doch fatal, auch im Hinblick auf unsere Demokratie. Wie reagieren Sie in Ihrer Arbeit auf diese Entwicklun­g? Koch: Wir versuchen, den Jugendlich­en Freiräume zu geben für soziale Experiment­e. Sie sollen die Erfahrung machen, dass sie etwas bewegen können, wenn sie sich engagieren. Wir haben die Hoffnung, dass sie sich dann auch später aktiv in die Gesellscha­ft einbringen.

Die Studie bescheinig­t Jugendlich­en ein großes Maß an Toleranz. Wie erleben Sie junge Leute im Umgang mit dem Thema Flüchtling­e? Koch: Tatsächlic­h ist es so, dass Jugendlich­e diesem Thema meistens sehr offen und tolerant gegenübers­tehen. Sie wachsen ja in einer heterogene­n Gesellscha­ft auf. Wir organisier­en in den Jugendzent­ren regelmäßig Treffen mit jungen Flüchtling­en. Dabei ist zu spüren, dass mögliche Skepsis und Vorurteile durch den direkten Kontakt schnell verschwind­en.

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