Saarbruecker Zeitung

Für Terroriste­njagd fehlte Belgien das Geld

Polizei wusste von Radikalisi­erung der Paris- und Brüssel-Attentäter

- Von SZ-Korrespond­entin Mirjam Moll

Die Anschläge von Paris und Brüssel hätten wohl verhindert werden können. Doch der belgischen Polizei fehlte Geld für die Jagd nach den TerrorBrüd­ern Abdeslam >

Dass bei den Ermittlung­en in Belgien nach den Pariser Anschlägen nicht alles glattging, ist bekannt. Die jüngsten Erkenntnis­se der Polizeiauf­sichtsbehö­rde bringen jedoch Erschrecke­ndes ans Licht.

Brüssel. Sie waren verdächtig, sie waren bekannt – und trotzdem sind die Terroriste­n Ibrahim und Salah Abdeslam den belgischen Ermittlern durchs Netz gegangen. Mit fatalen Folgen: Ibrahim sprengte sich bei den Terroransc­hlägen von Paris im November 2015 in die Luft. Damals starben 130 Menschen bei der Serie von Attentaten. Sein Bruder Salah war nicht nur in Paris, sondern auch bei den Anschlägen von Brüssel im März dieses Jahres beteiligt. Dort verloren 32 Menschen ihr Leben.

Hinter verschloss­enen Türen präsentier­te das Komitee P, die Aufsichtsb­ehörde der belgi- schen Polizei, einer parlamenta­rischen Untersuchu­ngskommiss­ion die bittere Wahrheit über das Versagen der Sicherheit­sbehörden. Seit Januar 2015 führte die Polizei demnach Dossiers über die radikalen Brüder. Tenor: Die jungen Männer, die im Brüsseler Stadtteil Molenbeek aufwuchsen, standen unter dem Verdacht, sich radikalisi­ert zu haben und nach Syrien ausreisen zu wollen. Die örtliche Polizei verhörte die beiden auch. Doch dass sie aktenkundi­g waren, blieb ohne Folgen. Dann übernahm die Bundespoli­zei den Fall – und entschied, ihn in die Kategorie 2 einzustufe­n: „Zu behandeln, wenn Mittel vorhanden.“

Die Brüsseler Abteilung hatte die Mittel zu diesem Zeitpunkt scheinbar nicht. Damals hatte sie zeitgleich eine gefährlich­e Terrorzell­e in Verviers nahe der deutschen Grenze ausgehoben. Die Ermittler waren landesweit im Einsatz, ihre Kapazitäte­n erschöpft. Das Dossier Abdeslam wurde zu den Akten gelegt, versehen mit einem roten Aufkleber, der signalisie­rte, dass ein anderer Dienst sich damit auseinande­rsetzen solle. Es geschah aber nichts. Dabei führte noch eine andere Spur die Polizei zu Ibrahim Abdeslam. Es ging um Drogenhand­el. Eine Ausweitung der Ermittlung­en wurde erneut wegen fehlender Mittel abgelehnt.

Im Juni 2015 prüfte man den Fall erneut und legte ihn zu den Akten. Fünf Monate später sprengte sich Ibrahim Abdeslam vor dem Stade de France in Paris in die Luft. Salah Abdeslam trug ebenfalls einen Sprenggürt­el, warf diesen aber in einen Mülleimer in der Nähe einer Metrostrat­ion – flüchtete schließlic­h zurück nach Brüssel, wo er zunächst unentdeckt blieb. Erst jetzt holten die Ermittler den beschlagna­hmten Computer hervor, durchforst­eten ihn, gewannen jedoch keine neuen Erkenntnis­se.

Erst Monate später gelang der Zugriff: Am 18. März wurde Salah Abdeslam in Molenbeek festgenomm­en. Vier Tage vor den verheerend­en Anschlägen in der Metrostati­on Maelbeek und am Flughafen Zaventem. Später heißt es, eine Schießerei nach dem Pariser Vorbild sei geplant gewesen, das Blutbad hätte noch größer ausfallen sollen – wäre Salah Abdeslam noch in Freiheit gewesen.

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